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Ihre Partei nach links gerückt: Angela Merkel, damals noch Oppositionsführerin, auf dem CDU-Bundesparteitag im Dezember 2004 in Düsseldorf.

© dpa

Die Kanzlerin und ihre Partei: Angela Merkel hat die CDU Deutschland angepasst

Es war richtig, dass die CDU-Vorsitzende ihre Partei nach links rückte. Die größte Krise ihrer Laufbahn kam erst, als Merkel emotional entschied. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Hat Angela Merkel ihren zehn Jahre lang vom politischen Gegner bewunderten, aber vom konservativen Flügel der eigenen Partei nur mit Ingrimm ertragenen Instinkt für Macht, Machbarkeit und Machterhaltung verloren? Dass ihr „Wir schaffen das“ angesichts der Flüchtlingskrise zum Wendepunkt einer einzigartigen Erfolgskurve werden könnte wie beim Basta-Kanzler Gerhard Schröder dessen Agenda 2010, ist eine inzwischen kaum noch bestrittene These. Und klar ist auch: Ihr bleiben nicht einmal zwei Wochen, bis zum dritten Advent. Dann tagt in Karlsruhe der Parteitag der CDU.

Entweder gelingt es Merkel bis dahin, zwischen den westeuropäischen, langjährigen EU-Mitgliedern einen Pakt über Flüchtlingskontingente auszuhandeln, oder die Delegierten werden Beschlüsse fordern, die auf eine massive Kontrolle der deutschen Grenzen vor allem nach Österreich hinauslaufen. Aus Merkel, der von hinten führenden Kanzlerin und Parteivorsitzenden, würde dann Angela Merkel, die getriebene.

Die beste SPD, die es je gab?

Während aber bei ihrem sozialdemokratischen Vorgänger die rüde Wende in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auch in der eigenen Partei als einmaliges, wenn auch am Ende fatales Abweichen vom Pfad kernsozialdemokratischer Tugenden gewertet wurde, sehen Merkels Kritiker in ihrer Positionierung in der Flüchtlingsfrage nur einen weiteren Beleg für eine vermutete systematische Umorientierung der Christlich-Demokratischen Union.

Die gerade von konservativen CDU-Anhängern schon fast paranoiahaft beschworene, angeblich beabsichtigte Zerstörung christdemokratischer Traditionspositionen drückte vor wenigen Tagen der „FAZ“-Herausgeber Berthold Kohler in einem Leitartikel mit der Überschrift „Kennen wir sie?“ so aus: „Sie geht ihren Weg wie immer: Schritt für Schritt. So, wie sie, die Außenseiterin aus der DDR, die CDU auf links gedreht hat …“ Dies ist nun die dramatische Zuspitzung einer als politische Existenzkrise empfundenen Situation.

Da kam eine aus der DDR, eine Außenseiterin, eine Fremde, und machte aus der rechten Volkspartei CDU eine linke Partei, die beste SPD, die es je gab. Seit dem Leipziger CDU-Parteitag 2003 mit seiner marktliberalen Ausprägung – Thomas de Maizière bezeichnete ihn vor fast einem Jahrzehnt einmal sarkastisch als Putsch von oben – hat Merkel in der CDU eine als unverrückbar geltende Festlegung nach der anderen abgeräumt: Aussetzung der Wehrpflicht, Ausstieg aus der Atomenergie, Lebenspartnerschaft, Kita statt Mama am Herd, Mindestlohn – die Reihe ließe sich durchaus fortsetzen.

Merkel hatte aus Leipzig gelernt: Die Orientierung der CDU Richtung Marktliberalität hätte sie 2005 fast den Wahlsieg gekostet, die CDU verlor im Vergleich zu 2002 3,3 Prozent der Stimmen. Mit ihrer Politik der Mitte und der asymmetrischen Wahlkampfführung (sie raubte der SPD ein Thema nach dem anderen) stabilisierte sie die CDU weit vor der SPD. Bei der Wahl 2009 betrug der Abstand zehn Punkte, 2013 waren es sogar 15,8 Prozent Vorsprung, und auch jetzt, mitten in der Flüchtlingskrise, die Merkel so viel persönliche Sympathiepunkte kostet, sieht das Politbarometer die Kanzlerinpartei aktuell 14 Punkte vor den Sozialdemokraten.

Eine persönlich geradezu tragische Komponente

Richard Hilmer, seinerzeit Geschäftsführer von Infratest-dimap, analysierte für den Tagesspiegel schon vor Jahren das Erfolgsgeheimnis so: Merkel habe begriffen, dass es die klassischen CDU-Milieus – ländlich, katholisch, weniger gebildet – kaum mehr gebe. Deshalb sei die von ihr erzwungene politische Umorientierung so etwas wie ein Überlebenselixier für die CDU gewesen.

Heute aber sieht Hilmer, inzwischen Geschäftsführer der Politikberatung „Policy matters“, Merkel auf einem völlig falschen Weg. Zwar habe sie die Hilfsbereitschaft der Deutschen richtig eingeschätzt, aber die zunächst untergründigen, nun aber immer mehr offenbar werdenden Sorgen nicht erkannt: die Angst, eine so große Zahl von Menschen aus einem fremden Kulturkreis und die völlig unkontrollierte Zuwanderung könnten von der Politik nicht mehr beherrscht werden. Da habe sie weder verstanden, was ihre Wähler erwarten, noch was die eigene Partei an Entschlusskraft von ihr verlangt.

Es ist eine für sie persönlich geradezu tragische Komponente des Geschehens, dass sie, der nüchterne Verstandesmensch, in dem Moment in die größte Krise ihrer Laufbahn gerät, in dem sie sehr emotional ausschließlich jenem christlichen Menschenbild folgte, dem ihre Partei nach eigenem Bekunden doch so verpflichtet ist.

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