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Politik: Die Kraft der zwei Rezepte

GESUNDHEITSREFORM

Von Cordula Eubel

Das wollten die Autoren der beiden Papiere zur Gesundheitsreform ganz sicher nicht: Und doch passen das Reformkonzept von Sozialministerin Ulla Schmidt und das Thesenpapier der Unionspolitiker Angela Merkel und Edmund Stoiber irgendwie ganz prima zusammen. Würde aus den beiden Vorschlägen ein gemeinsamer, könnte sogar so etwas wie eine richtige Gesundheitsreform dabei herauskommen: ein Paket, das nicht nur kurzfristig die Krankenkassen und vor allem die Beitragszahler entlastet, sondern das auf längere Sicht zudem die Strukturen im Gesundheitswesen verändert. Vorausgesetzt, beide Seiten raufen sich in den kommenden Monaten zusammen.

Schnell wirken kann die veränderte Finanzierung des Krankengelds, die die rotgrüne Bundesregierung plant. Schon ab dem kommenden Jahr sollen die gesetzlich Versicherten die rund sieben Milliarden Euro alleine aufbringen. Das ist verkraftbar – zumal sich nach den Regierungsplänen der Beitrag des Einzelnen nach seinem Einkommen richten soll. Die Arbeitgeber werden durch die Ausgliederung des Krankengelds auf einen Schlag entlastet. Schon zum 1. Januar 2004 müssten sie rund 0,4 Beitragspunkte weniger für die Krankenversicherung ihrer Mitarbeiter aufbringen. Ein vernünftiger Ansatz, um kurzfristig die Lohnnebenkosten zu stabilisieren – und damit wenigstens die Aussichten auf ein paar neue Jobs zu verbessern.

Komplizierter wird es dagegen beim Zahnersatz, den die Union privatisieren will. Niemand will eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der sich Arm und Reich beim Blick auf den Mund unterscheiden lassen. Es spricht trotzdem einiges dafür, den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der Kassen herauszunehmen. Stufenweise für die jüngere Generation und mit großzügigen Übergangsregelungen für die Älteren. Jüngere Menschen können heute im Normalfall selbst bestimmen, ob ihre Zähne erkranken oder nicht. Dank der Prophylaxe, die schon im Kindergarten beginnt, hat sich seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland eine Menge getan: Während damals zwölfjährige Kinder mehr als vier kariöse, fehlende oder gefüllte Zähne hatten, ist heute bei den Teenagern im Schnitt nur noch ein Zahn angegriffen. Seit die Patienten ihre Zahnarztbesuch in Bonusheften vermerken und bei regelmäßiger Untersuchung einen geringeren Anteil zum Zahnersatz aus eigener Tasche beisteuern müssen, geben sie mehr auf ihre Zahngesundheit Acht.

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die deutschen Krankenkassen noch recht großzügig sind: Sie erstatten etwa die Hälfte der Kosten. In den Niederlanden beteiligen sie sich nur noch an den Kosten der Vollprothesen. In Spanien, Portugal und in der Schweiz ist Zahnersatz ganz Privatsache. Mit Erfolg: Hier gibt es inzwischen kariesfreie Jahrgänge. Würde also der Zahnersatz in Deutschland schrittweise allein der privaten Finanzierung überlassen, würden die Zahnarztpatienten vermutlich gesünder, die Krankenkassen nachhaltig entlastet.

Auch die übrigen Pläne von Rot-Grün und der Union ließen sich mit ein bisschen gutem Willen unter einen Hut bringen. Beide Seiten fordern mehr Selbstbeteiligung – die Union über eine prozentuale Beteiligung an den Kosten, die Regierung über feste Zuzahlungen bei Medikamenten und Praxisgebühren. Gesellschaftspolitische Leistungen wie das Mutterschaftsgeld wollen beide Seiten nicht mehr den Beitragszahlern, sondern der Allgemeinheit aufbürden, über Steuern.

Ein Kompromiss ist da nicht nur möglich. Er ist auch dringend nötig. Für die Sanierung des Gesundheitssystems reichen nämlich weder der Gesetzentwurf der Bundesregierung, noch das Konzept der Union alleine aus. Packt man jedoch beide zusammen, könnte eine Reform herauskommen, die länger wirkt als bis zum Ende der Legislaturperiode.

Schade, dass der Widerstand schon programmiert ist: SPD und Grüne wird es reichlich Überwindung kosten, ein Tabuthema wie den Zahnersatz auch nur anzutasten. Die Union müsste dagegen bei den Strukturreformen mehr Mut aufbringen, als sie sich derzeit selber zutraut. Und dann ist da noch der Unions-Sozialexperte Horst Seehofer, der erbittert gegen das eigene Lager kämpft. Noch vor zwei, drei Jahren hätte ihm ein solches Paket gut gefallen.

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