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Ein Souveniershop in Mao Zedongs Heimatstadt Shaoshan in der Provinz Hunan verkauft eine Statue des 1976 verstorbenen Großen Vorsitzenden.

© dpa

Die Kulturrevolution in China: Zurück zu Mao?

Vor 50 Jahren begann in China die Kulturrevolution. Sie brachte dem Land Chaos, Anarchie und bis zu 1,8 Millionen Tote. Trotzdem kehren Elemente und Methoden dieser Zeit zurück.

„Der Osten ist rot, die Sonne geht auf, China hat Mao Zedong hervorgebracht“

Anfang Mai ist die inoffizielle Hymne der chinesischen Kulturrevolution wieder in Peking aufgeführt worden: Dongfang hong – der Osten ist rot. Nicht irgendwo wurde das Loblied auf den Großen Vorsitzenden Mao Zedong gesungen, sondern in der Herzkammer der chinesischen Nation: in der Großen Halle des Volkes am Tiananmenplatz, in der die Kommunistische Partei (KP) ihre Parteitage und Volkskongresse abhält. „Auf den Feldern der Hoffnung“ nannte sich die Veranstaltung, bei der mit „roten Liedern“ und Propagandapostern („Menschen aller Welt vereinigt euch, um die amerikanischen Invasoren und ihre Lakaien zu bezwingen“) der Geist der Kulturrevolution wiedererweckt wurde. Doch das war selbst für viele an Propaganda gewöhnte Chinesen zu viel.

Die Zensurbehörden wiesen die Medien an, Hinweise und Berichte zu der Veranstaltung zu löschen oder zu unterlassen. Intellektuelle und Angehörige von Opfern der Kulturrevolution empörten sich. „Wir müssen unsere Wachsamkeit gegen eine Wiederkehr der Kulturrevolution und auch gegen die extrem linke Ideologie verschärfen“, schrieb die Chinesin Ma Xiaoli in einem Protestbrief an die KP-Führung. Ihr Vater, der Revolutionspolitiker Ma Wenrui, war während der Kulturrevolution für fünf Jahre in einem Militärgefängnis verschwunden.

Die Kulturrevolution hat China in den Jahren 1966 bis 1976 vor allem Unheil beschert. Sie stürzte das Land in fortwährende Anarchie und brachte Millionen von Menschen Verfolgung und Tod. Fünf Jahre nach Mao Zedongs Tod im Jahr 1976 bewertete die Kommunistische Partei Chinas die ultralinke ideologische Reformbewegung als „zehn Jahre Chaos“ und als „große Katastrophe für Volk und Partei“. Mao Zedong, dessen Politik womöglich bis zu 76 Millionen Menschen das Leben gekostet haben könnte, habe 70 Prozent richtig und 30 Prozent falsch gemacht, hieß es damals. Doch im Zuge von wirtschaftlichem Aufschwung, Nationalstolz und Nostalgie verblasst dieses Urteil. Und die Sorge vor einem Rückfall wächst.

Gegenwärtig gibt es eine große innenpolitische Verhärtung Chinas

Einige Elemente und Methoden der Politik des aktuellen Staatspräsidenten Xi Jinping erinnern doch stark an die Kulturrevolution. Gegenwärtig beobachten Experten eine große innenpolitische Verhärtung Chinas, die Partei setzt wieder verstärkt auf Repressionen. Wie Mao zu Beginn der Kulturrevolution versucht Xi Jinping seine innenpolitischen Gegner zu entmachten. Er bedient sich dabei freilich nicht einer Ideologie, sondern einer fortdauernden Antikorruptionskampagne. Auch kehrt unter Xi Jinping die Verehrung einer allmächtigen Führungsfigur zurück – was unter seinem Vorgänger Hu Jintao undenkbar war.

Die innenpolitische Verhärtung führt auch, ähnlich wie in der Kulturrevolution, zu einer Atmosphäre der allgemeinen Verunsicherung und ständigen Bedrohung in der Bevölkerung. Und auch die politischen Angriffe auf den Westen und seine Wertvorstellungen nehmen wieder zu.

Der chinesische Künstler und Wissenschaftler Ni Shaofeng hält bei der Veranstaltung des Berliner China-Instituts Merics zu „Chinas Re-Ideologisierung unter Xi Jinping“ eine Rückkehr Chinas zur Kulturrevolution durchaus für denkbar. „Xi Jinping sammelt gerade sehr viel Macht um sich – das kann sehr brenzlig werden“, sagt er. Daniel Leese, Sinologie-Professor der Universität Freiburg, erkennt ebenfalls Elemente der Kulturrevolution wieder. „Wenn wir darunter Gewalt, Cliquenkämpfe, repressives Klima und Zensur verstehen, dann kann ich eine Rückkehr der Kulturrevolution durchaus kommen sehen“, sagt der China-Experte, „wenn wir darunter allerdings die spezifische Ideologie verstehen, die Mao Zedong in den ersten zwei Jahren mit der Kulturrevolution verbunden hat, dann sehe ich das überhaupt nicht.“

Grundzüge dieser Ideologie hatte das KP-Politbüro vor exakt 50 Jahren bekannt gegeben. In den „Mitteilungen vom 16. Mai“ rief Mao Zedong 1966 die Bevölkerung dazu auf, Missstände in der Partei aufzudecken und auszumerzen. „Das gilt als offizieller Startschuss der Kulturrevolution“, erklärt die China-Expertin Kristin Shi-Kupfer vom Merics-Institut. Es folgten zehn turbulente Jahre, die kulturelles Erbe unwiderbringlich zerstörten und nach den jüngsten Forschungen 1,5 bis 1,8 Millionen Menschen das Leben kosteten. „Mindestens 36 Millionen Menschen sind politisch verfolgt worden“, berichtet Daniel Leese, Autor des Buches „Die chinesische Kulturrevolution 1966–1976“.

Die Kulturrevolutions startete als Machtkampf Mao Zedongs

Die Kulturrevolution startete als Machtkampf Mao Zedongs mit dem pragmatisch orientierten Politbüro-Flügel um Liu Shaoqi und Deng Xiaoping. Doch Mao Zedong hatte diese Auseinandersetzung schnell gewonnen und wollte mehr: Die Proletarisierung von Gesellschaft und Partei und damit den idealen Sozialismus. Schon bald schlossen sich junge Parteikader, Schüler und Studenten zu Roten Garden zusammen und kämpften gegen die „vier Alten“: alte Gedanken, alte Kultur, alte Sitten, alte Gewohnheiten. Rote Garden und Rebellengruppen, unterstützt von der sogenannten Viererbande um Maos Frau Jiang Qiang, richteten heilloses Leid und Zerstörung an: Schulen, Universitäten, Behörden schlossen, das gesellschaftliche Leben erstarrte. Diese Verhältnisse waren erwünscht. „Mit Chaos auf Erden erreicht man große Ordnung im Land“, sagte Mao Zedong.

Derartige Sprüche fanden sich auch in der kleinen roten Mao-Bibel, die jeder Chinese in der Kulturrevolution mit sich führen sollte. Der Mao-Kult und seine Ästhetik begeisterte auch im Westen zahlreiche Intellektuelle, wobei diese kaum etwas über das unsägliche Leid wussten, das die Kulturrevolution angerichtet hat. Zwar forderten andere Kampagnen Maos, vor allem die Hungersnot infolge des „Großen Sprungs nach vorne“, viel mehr Opfer – von 36 Millionen Toten und mehr ist die Rede. Doch die Kulturrevolution ragt heraus, weil das Chaos so groß war und alle Eliten und Institutionen betroffen waren.

So erlebte auch die Politikerfamilie des aktuellen Staatspräsidenten Xi Jinping den Terror der Roten Garden. Sein Vater, der Revolutionspolitiker Xi Zhongxun, musste ins Gefängnis, auf einer Anklageveranstaltung warfen ihm die Rotgardisten vor, er habe bei einem Besuch Ostberlins mit dem Fernglas nach Westberlin gesehen. Auch Xi Jinping wurde mehrfach festgenommen und flüchtete in die Provinz Shaanxi, wo er zeitweise in einer der dortigen Wohnhöhlen am Gelben Fluss hauste. „Xi Jinping beschreibt in seiner Biografie die Kulturrevolution als eine Art Wetzstein, an der sich echte Führer bewiesen haben“, erklärt der Sinologe Daniel Leese. Xi Jinping ordne wie andere aus seiner Generation in der politischen Führung sein persönliches Leid dem höheren Interesse unter, die Macht der Kommunistischen Partei in China zu erhalten.

Auch deshalb erscheint eine vollständige Rückkehr in diese Zeit unmöglich. „Mao hat die Bevölkerung gegen die Partei mobilisiert“, sagt Daniel Leese, „ich kann mir aber im Moment nicht vorstellen, dass die Partei die Macht aus der Hand gibt.“ Die Sinologin Mareike Ohlberg teilt diese Sichtweise – eigentlich. Denn die wissenschaftliche Mitarbeiterin des China-Instituts Merics erinnert sich an einen Satz, den ihr einst ein Kollege der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften auf den wissenschaftlichen Weg mitgegeben hatte: „Wir sind hier in China – und in China ist alles möglich.“

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