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Unzählige Menschen versammelten sich auch am Montag in der Stadt, ließen das verhängte Versammlungsverbot außer acht.

© dpa

Die Lage in Ägypten: Militär im Badeort

Präsident Mubarak hat einen neuen Vize. Befriedet ist die Lage damit nicht. Deshalb zeigt das Militär Stärke. Und die Touristen sitzen am Flughafen fest. Wie ist die Lage in Ägypten?

Panzer bestimmen das Bild in Ägypten. Kampfflugzeuge donnern im Tiefflug über Kairo. Und selbst im Badeort Scharm el Scheich ist das Militär präsent. Trotzdem demonstrierten wieder Tausende und forderten den Rücktritt von Präsidenten Hosni Mubarak.

Wie ist die Situation im Land?

Plünderer sind ein Problem derzeit. In der ganzen Stadt versucht das Militär, der Diebe Herr zu werden. Besonders betroffen ist das Ägyptische Museum. Auf den Gängen im ersten Stock liegen zerbrochene Statuen auf dem Boden, Holzfiguren sind aus den 3000 Jahre alten Totenbarken herausgebrochen, Vitrinen zertrümmert, zwei Mumien wurde der Kopf abgerissen. Mehrere Amulette fehlen nach einer ersten Bilanz, sogar an Götterfiguren aus dem legendären Schatz des Tutanchamun haben sich die Plünderer vergangen (siehe Interview unten).

Insgesamt ist die Bilanz der vergangenen Tage erschreckend. Über 150 Tote und nahezu zweitausend Verletzte gibt es im ganzen Land. Bis in die frühen Sonntagmorgenstunden hallen in Kairos Wohnvierteln Schreie und Schüsse durch die nächtlichen Straßen. Überall sind Plünderer unterwegs, das staatliche Fernsehen blendet zwei Notrufnummern ein, die ständig besetzt sind. In Heliopolis räumten sie ein Krebskrankenhaus bis auf den letzten Stuhl leer. Selbst auf dem Gelände der renommierten Nasser-Offiziersakademie in Dokki versuchten Gangster mehrmals während der Nacht, an die Waffenlager heranzukommen. Bürgerwehren versuchen ihre Viertel zu schützen – ermuntert von der Armee. Der Verkehr wird kaum mehr geregelt. Kurzum: Die öffentliche Ordnung steht vor dem Kollaps.

Wie sich das Militär weiter verhalten wird, ist noch nicht genau absehbar. Es ist präsent und soll Stärke demonstrieren, aber es gibt auch Verbrüderungen mit den Demonstranten. Am Sonntag ließen die Generäle sogar als erstes Mitglied der alten Führung den verhassten Innenminister Habib al Adly festnehmen. Der hatte zuletzt vom Dach seines Ministeriums Demonstranten abschießen lassen. Mindestens vier Menschen kamen dabei ums Leben. Viele der Plünderer kommen offenbar aus den Reihen seiner zivilen Schlägerpolizei, die in den Vierteln gezielt die Menschen in Angst und Schrecken versetzen soll. Unterwegs in gestohlenen Krankenwagen, Motorrädern oder Polizeiautos verschaffen sie sich mit gezückter Pistole Zugang zu den Wohnungen und lassen alles mitgehen, was sich wegschleppen lässt.

Sind die Kommunikationswege in Ägypten wieder frei?

Nicht ganz. Die Handys funktionieren zwar wieder, doch Internetplattformen wie Twitter und Facebook blieben am Sonntag weiter blockiert. Außerdem wurde dem populären Fernsehsender Al Dschasira die Lizenz entzogen. Ägypten zeigt sich damit auf einer Höhe mit China. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass die chinesische Führung am Sonntag die Internetsuche vor allem in sozialen Netzwerken nach dem Stichwort „Ägypten“ blockierte. Mit der Zensurmaßnahme versucht die Regierung wohl, ein Übergreifen der Demokratiebestrebungen in Ägypten und Tunesien auf die eigene Bevölkerung zu verhindern.

Wer ist der neue Vize-Präsident Suleiman?

Es war eine Inszenierung von Loyalität bis zum Untergang. Leicht gebeugt standen sich der greise Hosni Mubarak und sein engster Getreuer Omar Suleiman gegenüber. Mit erhobener Rechter schwor der alte, glatzköpfige Geheimdienstgeneral, „dem Volk zu dienen und Schaden von ihm abzuwenden“. Seinem unbeholfenen militärischen Gruß folgt noch ein flüchtiger Handschlag – und dann hatte Ägypten zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder einen Vizepräsidenten. Mit seiner Hilfe hofft Mubarak nun, die Revolte seines Volkes gegen ihn doch noch niederschlagen zu können. Die Antwort der Demonstranten ließ nicht lange auf sich warten: „Weder Mubarak noch Suleiman, wir haben die amerikanischen Marionetten satt“, skandierte die Menge auf dem Tahrir-Platz in Kairos Zentrum.

In besseren Tagen des Regimes galt Suleiman als der starke Mann hinter den Kulissen, als die diskrete graue Eminenz neben Mubarak. Erst vor fünf Jahren ließ sich der 74-Jährige zum ersten Mal öffentlich fotografieren. International einen Namen gemacht hat er sich vor allem als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern. Keiner hat mehr Waffenpausen zwischen beiden Seiten vermittelt. Immer wieder erreichte Suleiman seit Beginn der Zweiten Intifada Zeiten der Ruhe.

Geboren wurde Suleiman 1936 in eine wohlhabende Familie in Oberägypten. In seinem Aussehen ähnelt er dem ermordeten Präsident Anwar Sadat – eine schlanke, große Erscheinung mit scharf geschnittenen Gesichtszügen. Seine Heimatstadt Qena liegt in einer der ärmsten Regionen des Landes und zählt zu den frühen Hochburgen der Islamisten. Mit neunzehn Jahren ging der junge Mann nach Kairo zur Militärakademie. In der Sowjetunion, damals Bündnispartner Ägyptens, lernte er an der berühmten Offiziersschule Frunze die Finessen des Agentenlebens kennen. „Nachdem wir für Moskau nominiert worden waren, bestellte uns Präsident Nasser zu sich“, erinnerte sich später einer seiner Kollegen. Er habe nur eine Forderung, eröffnete der ägyptische Präsident seinen Jungoffizieren: „dass ihr zurückkommt als Antikommunisten“.

Antikommunist ist Suleiman sein Leben lang geblieben und ein Mann der harten Hand. In den Nahost-Kriegen von 1967 und 1973 diente er als Offizier. In den achtziger Jahren studierte er politische Wissenschaften an den Universitäten von Ain Shams und Kairo. 1993 wurde er Chef des größten und effizientesten Geheimdienstes in der arabischen Welt, der wegen seiner guten Beziehungen zu den Amerikanern auch als ägyptische Filiale der CIA gilt. Und er war es auch, der nach den verheerenden Anschlägen auf Touristen in den neunziger Jahren den Kampf gegen die ägyptischen Terrorgruppen Gamaa Islamiya und Jihad gewann.

Seiner Umsicht hat es Suleiman zu verdanken, dass er als Geheimdienstchef schließlich in den Rang eines Ministers aufstieg. Als sein Chef Mubarak 1995 zu einer Konferenz in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba reiste, bestand Suleiman darauf, dass der Präsident eine Panzerlimousine mitnimmt. Das rettete Mubarak das Leben, als er auf der Autobahn vom Flughafen in die Innenstadt in einen Hinterhalt geriet. Die von den Islamisten abgefeuerten Kugeln blieben in der Panzerung stecken, ihr Raketenwerfer versagte. Jetzt soll Suleiman seinen Chef ein zweites Mal retten. Doch diesmal sind es keine Terroristen, sondern das ägyptische Volk, das ihm an den Kragen will.

Wie ist die Situation der Touristen?

Tausende Menschen sitzen am internationalen Flughafen in Kairo fest. Augenzeugen berichten von einem „fürchterlichen Gedränge“, das in den Terminals herrsche. Außerdem gibt es Berichte, wonach Reisende auf den Straßen zum Flughafen von Wegelagerern ausgeraubt werden.

In den Urlaubsregionen am Roten Meer ist die Lage noch relativ ruhig. Anders als in Kairo. Deshalb bereiten einige Länder zusätzliche Ausreisemöglichkeiten für ihre Staatsbürger vor. Die US-Regierung erklärte am Sonntag, das Außenministerium plane Evakuierungsflüge für US-Bürger, die das Land freiwillig verlassen wollten. Die Flüge zu sicheren Zielen in Europa sollten am Montag beginnen. Die Türkei und Indien schickten Flugzeuge nach Ägypten, um eigene Staatsbürger außer Landes zu bringen.

Auch Deutschland trifft erste Vorbereitungen. Die Lufthansa organisiert in Absprache mit dem Auswärtigen Amt einen Zusatzflug von Kairo nach Frankfurt, um Ausreisewilligen die Möglichkeit zur Rückkehr nach Deutschland zu geben. Die Maschine soll gleichzeitig mit dem planmäßigen Flug am Montagmorgen in Frankfurt starten und am Nachmittag aus Kairo zurückkehren.

Die drei größten deutschen Reiseveranstalter verzeichneten am Wochenende allerdings nach eigenen Angaben keine Wünsche von Urlaubern in Ägypten nach einem Reiseabbruch. Von den mehreren tausend deutschen Touristen habe niemand eine vorzeitige Rückreise beantragt, sagten Sprecher von TUI , Thomas Cook und Rewe Touristik. Einige Kunden hätten jedoch geplante Ägyptenreisen umgebucht oder storniert.

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