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Politik: Die Lehre von Neukölln

Von Lorenz Maroldt

Berlins Bildungssenator Klaus Böger zieht in den Klassenkampf. Keine Schule, kein Schüler werde aufgegeben, kündigt er an. Menschenverachtende Zustände, Zerstörung, Chaos, Gewalt? Wird schon werden. Die Forderung verzweifelter Lehrer, ihre Schule aufzulösen, lehnt der Senator ab. Stattdessen schickt die Stadt eine Krisenreaktionsarmee los: Zwei Sozialpädagogen sollen jetzt die Rütli-Schule in Neukölln befrieden. Nein, man darf das nicht ins Lächerliche ziehen, es handelt sich dabei wirklich um Spezialisten: Sie sprechen die Sprache der Mehrheit – Arabisch und Türkisch. Ob aber jemand auf sie hört, ist eine ganz andere Frage.

Eigentlich hat Böger Recht. Aufgeben – das ist kein akzeptabler Weg. Hier gilt es mehr zu verteidigen als eine hundert Jahre alte Berliner Schule. Es geht ums Große und Ganze, um Werte, Kultur, Gesetze – und um die Perspektive von Menschen, die Angst haben und Angst verbreiten, die Respekt vermissen und Respekt vermissen lassen. Aber für manche Dinge ist es eben irgendwann zu spät. Dass es an dieser und anderen Schulen einmal brennen wird, davor haben Lehrer seit langem gewarnt. Doch die Politik hat sie weitgehend allein gelassen. Mit gutem Willen in der Schule lässt sich jetzt nicht mehr retten, was zuvor und anderswo schon verloren ist.

Was sich hier gewaltsam Bahn bricht, ist eine Folge wildwüchsiger Migration und mangelnder sozialer Integration. Daran ist die Politik schuld, wahrlich nicht nur die Schulpolitik. Das, was hier falsch läuft, fängt weit vor dem Schulhof an und hört dahinter nicht auf. Auf die seit langem bekannten Probleme wird gar nicht reagiert oder zu spät, immer in der Hoffnung, es erfinde noch jemand einen ideologisch abgesicherten Masterplan. Pragmatische Ideen werden unsinnig genannt oder rassistisch und meistens verworfen. Unterdessen setzt sich immer konzentrierter in manchen Stadtteilen und einigen Schulen die brutale Macht der Stärkeren durch. Deutsche Schüler werden als Schweinefleischfresser verachtet, Mädchen als Schlampen und Huren. Die Minderheitenkultur des Landes wird im Kleinen zur Mehrheit und diktiert sogar noch die Sprache. Ein Klima der Angst und der Intoleranz macht sich breit; das einzige Fach, das gelernt wird, ist die kriminelle Karriere, was sonst. Etwas anderes wird ja draußen dem Anschein nach auch nicht gebraucht. All das, wie absurd, geschieht im staatlich geschützten Raum. Weltfremd erscheint da der erbitterte Streit über den Religionsunterricht. Die Politik erschöpft sich am Überbau, und zugleich erodieren die Fundamente.

Arm aber sexy lautet ein Motto Klaus Wowereits, bezogen auf den Zustand Berlins. Wer das nicht als zynisch erkennen mag oder muss, kann das auch so verstehen: das Beste daraus machen, in der Not mal improvisieren, ausprobieren. Die Entsendung von zwei Sozialpädagogen mit Zeitverträgen und ein paar Polizisten zur Rettung eines Lehrerkollegiums vor dem Wahnsinn und einer Schülerschaft vor dem Gefängnis ist nur erbärmlich ärmlich. Es kommt dem gleich, was Böger angeblich vermeiden will: Erst geben wir diese Schule auf und dann die nächste, und die Schüler sowieso. Entweder der Senat bietet an der Rütli-Schule und anderswo das Maximum an Gefühl und Härte auf, ganz egal, was der Kassenwart Sarrazin sagt, oder er folgt dem Vorschlag der Lehrer: die Schule auflösen, die Schüler verteilen, auch auf andere Bezirke der Stadt. Eine Verzweiflungsaktion, ganz gewiss. Aber auf was will man denn hier sonst noch warten?

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