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Politik: Die Libanesen fürchten die Flüchtlinge - nach Ansicht Beiruts stören die zahlreichen Palästinenser im Land das religiöse Gleichgewicht

Je näher der Nahost-Frieden rückt, desto argwöhnischer reagieren die Libanesen auf seine Aussichten. Sie fürchten, dass eine umfassende Regelung auf Kosten ihrer mühsam genug gewahrten Einheit gehen könnte.

Je näher der Nahost-Frieden rückt, desto argwöhnischer reagieren die Libanesen auf seine Aussichten. Sie fürchten, dass eine umfassende Regelung auf Kosten ihrer mühsam genug gewahrten Einheit gehen könnte. Der Grund ihrer Ängste liegt dabei nicht in offenen territoralen Fragen zwischen der Zedernrepublik und dem jüdischen Staat. Gefragt wird nach der Zukunft der Palästinenser im Lande. Mit der Bemerkung nämlich, dass die weltweit rund vier Millionen palästinenischen Flüchtlinge am besten dort angesiedelt würden, wo sie sich derzeit befinden, hat der israelische Ministerpräsident Ehud Barak Anfang Juli im Libanon eine regelrechte Panik ausgelöst.

Kein Tag vergeht, am dem nicht führende Politiker und Kleriker aller Religionsgemeinschaften gegen die Ansiedlung der 350 000 bis 400 000 Camp-Bewohner in Libanon zu Felde ziehen würden. Um seine 3,5-Millionen-Bevölkerung ruhig zu stellen, hat Premierminister Salim al Hoss vor kurzem sogar angekündigt, dass er keinen Friedensvertrag mit Israel unterschreiben würde, ehe nicht das Flüchtlingsproblem zur Zufriedenheit Beiruts geklärt sei. Im Vorfeld der israelisch-palästinensischen Endstatus-Verhandlungen, in deren Verlauf auch das Recht auf Rückkehr der Vertriebenen diskutiert werden wird, wollen die weltlichen und geistlichen Spitzen der 18 offiziell anerkannten Konfessionen im Zedernland jedenfalls ein "spirituelles Gipfeltreffen" einberufen, bei dem die Flüchtlingsproblematik in allen Einzelheiten diskutiert werden soll. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird die Konferenz im "Dar al Fatwa", dem Sitz des sunnitischen Muftis in West-Beirut und damit der höchsten religiösen Instanz des sunnitischen Islam des Landes einberufen werden.

Diese Ortswahl kommt nicht von ungefähr. Sie signalisiert, dass auch die Sunniten den Verbleib der Palästinenser im Libanon ablehnen, obwohl sie von deren endgültiger Ansieldung nur profitieren könnten; denn die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge bekennt sich zur sunnitischen Variante des Islam. Mit ihrer Einbürgerung würde diese Konfessionsgruppe also unverhältnismäßig gestärkt werden; gleichzeitig jedoch wäre es vorbei mit dem prekären konfessionellen Gleichgewicht zwischen Moslems und Christen auf der einen sowie zwischen sunnitischen und schiitischen Moslems auf der anderen Seite. Auf diesem sorgsam austarierten "Gleichgewicht" gründet freilich das politische System des Libanon mit seinem Religionsproporz. Dem zufolge werden alle staatlichen Posten und Pöstchen nach einem konfessionellen Schlüssel verteilt, wobei das präsidiale Triumvirat an der Staatsspitze von den drei stärksten Religionsgemeinschaften des Landes gestellt werden muss: Der Staatschef muss maronitischer Christ, der Parlamentspräsident muß schiitischer Moslem und der Ministerpräsident muss Sunnit sein.

In der Resolution 194 haben die Vereinten Nationen 1948 ausdrücklich das Recht der Palästinenser auf Rückkehr festgeschrieben. Israel ist indes nicht bekannt für seine Respektierung von UN-Beschlüssen. Jordanien und Syrien haben ihre palästinesische Flüchtlingsbevölkerung voll oder teilweise integriert. In Ägypten fällt sie kaum ins Gewicht. In weiten, vor allen Dingen christlichen Kreisen des Libanon werden die Palästinenser jedoch als Gefahr empfunden.

Peter Gerner

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