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Politik: Die Logik der Politik

Von Ursula Weidenfeld

So schön kann Opposition sein. Wenn man nicht mitregieren darf, dann fällt einem schnell ein, mit wem man theoretisch zusammengehen und wie fix man dann etwas bewegen könnte. Und wenn man mitregieren muss, dann findet man in diesen Tagen auch schnell Gefallen an Konstellationen, die vor allem eines versprechen: anders zu sein als das, was man gerade hat. Das Seltsame an diesen aktuellen Koalitionskoketterien zwischen FDP, Grünen und CDU ist, dass es langatmig um Berührungsängste geht, die jetzt angeblich weg sind, oder um neue Freundschaften, die nun möglich erscheinen. Nur um eines geht es nicht: um politische Überzeugungen, um Haltungen und Prinzipien.

Das ist problematisch. Will jeder mit jedem können, sind auch alle Unterschiede, Streit- und Konfliktpunkte verhandelbar. Was aber von vornherein verhandelbar ist, steht auch von vornherein zur Disposition. Das mag praktisch sein, zumal die klassischen dogmaorientierten Wähler nach und nach verschwinden. So gibt es kaum noch jemanden, der aufgrund seiner christlichen Überzeugung auf keinen Fall eine Partei ohne C wählen kann. Auch die Generation, die wegen ihrer Brokdorf-Biografie niemals eine Partei ohne klares Bekenntnis zum Atomausstieg wählen würde, relativiert diese Haltung nach und nach. Selbst Wähler, die durch ihre Sozialisierung in der Arbeiterbewegung schwere Probleme mit einer Liberalisierung des Kündigungsschutzes haben, machen ihr Kreuz heute gelegentlich woanders als bei der SPD.

Dennoch ist es falsch, wenn auch die Parteien ihre Grundhaltungen zu einzelnen Politikfeldern zugunsten einer umfassenden Koalitionsfähigkeit aufweichen. Je wankelmütiger sich die Wähler verhalten, desto wichtiger ist es, dass sie sich zwischen verschiedenen Politikkonzepten entscheiden können. Parteien, die sich nur noch durch Tradition und Parteitagsfolklore unterscheiden, wandeln sich zu reinen Politikträgern, in denen allein das für möglich Gehaltene den Takt bestimmt, nicht aber das Nötige. Ihre Protagonisten orientieren sich an taktischen Überlegungen, nicht an Überzeugungen. So ist es jetzt bei der Koalition von CDU/CSU und SPD. Da stellen sowohl die Kanzlerin als auch der SPD-Parteichef bei den Verhandlungen um die Gesundheitsreform irgendwann die Sein-oder- Nichtsein-Frage. Sie tun das aber nicht, weil etwas Großes nach einer großen politischen Anstrengung verlangt. Sie tun es, weil sonst die Blockade im Kleinklein droht.

So würde es vermutlich auch schnell in einer schwarzen Ampelkoalition aussehen. Was aber würde sich dann ändern, wenn man das Planspiel zu Ende bringt und die CDU gemeinsam mit der FDP und den Grünen regieren ließe? Nichts? Warum dann die Partner wechseln? Koalitionsfähigkeit allein macht noch keine gute Regierung.

Wer mit dem Schlachtruf „Mehr Freiheit“ antritt und schon nach acht Monaten Regierungszeit mehr Staat geschaffen hat, der hat vielleicht aus seiner Binnenwahrnehmung immer das Richtige getan. Angela Merkel hat als Kanzlerin die politischen Handlungsspielräume genutzt, die ihr der Koalitionspartner gelassen hat, sie hat aus der Logik der Koalition heraus gehandelt, sie hat das bewegt, was sich bewegen ließ. Nach diesem Prinzip ist dieses Land in den letzten Jahrzehnten regiert worden, unabhängig davon, ob die Koalition groß oder klein war. Dem Gemeinwohl hat das nicht genutzt. Die Schulen und Universitäten sind schlechter geworden, die Gesellschaft hat sich stärker abgeschlossen, Wachstum und Innovationskraft gingen zurück, Arbeitslosigkeit und Staatsanteil stiegen.

Den entscheidenden Unterschied machten nicht Koalitionen, sondern Personen. Helmut Kohl hat Euro und Osterweiterung der Europäischen Union mit seinem politischen Schicksal verbunden – die Zustimmung der Mehrheit seiner Koalition hätte er für beides vermutlich sonst nicht bekommen. Gerhard Schröder hat dasselbe bei der Agenda 2010 getan. Angela Merkel könnte das auch tun – wenn es etwas gäbe, wofür sie kämpfen will. Erst danach stellt sich die Frage, ob sie neue Koalitionspartner braucht.

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