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Verzweifelte Menschen in Gaza-Stadt. Das israelische Militär hat nun die Zivilbevölkerung in mehreren Vororten Gazas zur sofortigen Flucht aufgefordert

© AFP

Die Macht der Bilder: Kein Krieg ohne Propaganda

Von Gaza bis Donezk: Kaum ein Feldzug der Gegenwart kommt mehr ohne Propaganda aus – ganz oft mit Bildern aus der Vergangenheit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Auf eins ist Verlass: Kein Krieg ohne Propaganda. Aus Gaza werden dieser Tage Gräuelfotos ins Internet gestellt, die in Wahrheit aus dem syrischen Bürgerkrieg kommen. Wer sorgfältig Bilderdatenbanken studiert, kann das herausfinden. Aus der umkämpften Ukraine werden Gerüchte gepostet, etwa über ein angeblich vor den Augen der Mutter von ukrainischen „Faschisten“ gekreuzigtes Kleinkind. Wer der Geschichte nachgeht, findet weder die Orte noch Namen dazu. Alles erfunden. Der Abschuss eines Zivilflugzeugs über der Ukraine war vermutlich ein fataler Fehler der russophilen Separatisten. In den Hauptquartieren der Militärs in Moskau werden sie geflucht haben über die militärischen Dilettanten. Dann begann das hastige Absperren des Unglücksortes – und damit das der Wahrheit.

In der Regel geht die Propaganda dem Krieg voraus

Kriegspropaganda ist eine alte Sache. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden zu Tausenden Agitprop-Flugblätter gegen Katholiken oder gegen Protestanten verbreitet. Da hatte dann der jeweils andere gebrandschatzt, geplündert, kannibalisiert, Verbrechen an Verbrechen gereiht, die eigenen Leute aber waren tugendhaft und gottgefällig. Desinformation und Propaganda intensivierten auch im Zeitalter der nationalen Konstruktionen die Identitätsressourcen: Unsere Leute sind Patrioten, Vaterlandsliebende, Märtyrer. Die „Anderen“ sind Kriminelle, schänden Frauen, brechen das Völkerrecht. Am besten aber: „Sie haben uns überfallen!“

Eine israelische Soldatin betrauert den Tod eines Kameraden.
Eine israelische Soldatin betrauert den Tod eines Kameraden.

© AFP

Kein Krieg ohne Propaganda, und in aller Regel geht sie ihm voraus. Vor 75 Jahren, am 31. August 1939, fingierten SS-Leute den Überfall polnischer Aktivisten auf den deutschen „Sender Gleiwitz“ nah der polnischen Grenze. Der Vorwand für einen Feldzug gegen Polen war geschaffen: „Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen.“ Von Beginn an setzte der NS-Staat auf Paranoia und Hass produzierende Propaganda. Das Bildarsenal bediente sich teils bei dem des Ersten Weltkriegs, der heute genau hundert Jahre her ist. Damals zeigten Plakate „den Feind“ als blutrünstigen Wolf, als unmenschliche Bestie.

Auch im Kalten Krieg sollten lancierte Lügen die Stimmung der Bevölkerung steuern, und gelegentlich heiße Kriege rechtfertigen helfen. Am 4. August ist eine spektakuläre List und Lüge der Nachkriegszeit genau ein halbes Jahrhundert her. Am 4. August 1964 sollen nordvietnamesische Schnellboote im Golf von Tonkin den US-Zerstörer „Maddox“ beschossen haben. Die Story bot Präsident Lyndon B. Johnson den Anlass zum Einsatz von Bodentruppen in Vietnam. Die konstruierte Situation wird bei der US-Bevölkerung unter anderem das reale Trauma von Pearl Harbour geweckt haben.

Das Unvorstellbare ist schon mal irgendwo geschehen

Das Fernsehen der bosnischen Serben verbreitete Anfang der 1990er Jahre einmal, der muslimische Präsident der Bosnier habe befohlen, serbische Kinder an die Löwen und Tiger im Zoo von Sarajevo zu verfüttern. Eine komplette Erfindung, an deren Wahrheit dennoch bis heute Leute glauben. Fast zur selben Zeit sendete Radio Télévision Mille Collines in Ruanda Tag und Nacht infame Lügen über die Bevölkerungsgruppe der Tutsi, mit archaischen Ängsten spielende Szenarien, die zum Auslöser wurden für reale, horrende Taten im damaligen Bürgerkrieg. „Niemand wird Euch glauben.“ So zitiert ein Überlebender in Claude Lanzmanns Dokumentation „Shoah“ einen der Täter im Lager.

Dass es tatsächlich unfassliche Taten gab und gibt, gehört zum Kalkül der Propagandisten, die übrigens mit ihren Erfindungen viel über ihre eigenen Tatfantasien und Tatabsichten verraten. Das Unvorstellbare ist schon mal irgendwo geschehen. Wer will widerlegen, dass es sich jetzt und hier ereignet? Je raffinierter virtuelle Manipulation möglich wird, desto trickreicher wird Propaganda im Zeitalter des Digitalen. Und umso unverzichtbarer wird eine alte Methode: Das analoge, autonome Recherchieren, wie es jetzt die OSZE-Teams in der Ukraine unternehmen: Hingehen, Selbersehen, Fakten finden.

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