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Politik: Die Macht der Trauer

Hunderttausende Schiiten nehmen an der Beerdigung des ermordeten Ajatollahs al Hakim teil und demonstrieren ihre Stärke im neuen Irak

DER IRAKKRIEG UND DIE FOLGEN

Schon am frühen Morgen sind sie aufgebrochen: Hunderttausende Schiiten ziehen am Dienstag aus der heiligen Stadt Kufah aus. Die Frauen sind von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, sie schlagen sich aus Trauer auf die Köpfe. Die Männer, darunter viele Geistliche und Religionsschüler mit weißem oder schwarzem Turban, schlagen sich auf die Brust, um ihren Schmerz auszudrücken. Sie begleiten den symbolischen Sarg des am Freitag ermordeten Schiitenführers Ajatollah Mohammed Bakir al Hakim zur Beisetzung ins 15 Kilometer entfernte Nadschaf. Der Vorsitzende des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak (Sciri) war am Freitag bei der Explosion einer Autobombe getötet worden, nur eine Armbanduhr und ein Ring des hohen Geistlichen konnten geborgen werden.

Aus allen Richtungen strömen Menschen in die am Rande der Wüste gelegene Heimatstadt des Ajatollahs, wo der erste Imam der Schiiten, Ali, begraben liegt. Doch es geht nur langsam voran, die Straßen der Kleinstadt sind eng und können die etwa 500 000 erwarteten Trauernden kaum fassen. Der mit einer schwarzen Decke umhüllte Sarg, der auf einem gelben Lkw ankam, wird entsprechend schiitischer Tradition um die Moschee Imam Alis getragen oder eher geschoben, denn es gibt kaum ein Durchkommen. Es geht vorbei an der Südseite der Moschee mit der goldenen Kuppel, deren Eingangstor bei dem Anschlag auf al Hakim beschädigt wurde. Auch die teilweise völlig zerstörten Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite zeugen von der Wucht der Explosion. Die Menschen halten Poster des führenden schiitischen Politikers im Irak hoch oder schwenken grüne und rote Fahnen: Grün ist die Farbe des Propheten und Rot symbolisiert das Blut Husseins, seines von Sunniten ermordeten Enkels.

Ähnlich wie schon die Zusammenkunft von etwa einer Million Gläubigen Ende April, kurz nach dem Fall Bagdads, war auch die dreitägige Trauerprozession für al Hakim eine Demonstration der politischen Stärke der Schiiten. Sie beindruckten damals, kurz nach dem Zusammenbruch des Regimes und aller staatlichen Ordnung, durch ihre Disziplin und gute Organisation der friedlichen Märsche, bei denen praktisch ohne Vorbereitungszeit sogar für das leibliche Wohl der Pilger gesorgt wurde. „Die Menschen haben einfach ihre Haustüren geöffnet und die Pilger mit Essen versorgt", schwärmte Ajatollah Bakir al Hakim Ende April in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel in Teheran. Die politische Botschaft der damaligen Massendemonstrationen der Schiiten erklärte al Hakim so: „Wir sind frei, wir sind geeint und wir können uns selbst organisieren." An die Adresse der USA setzte er hinzu: „Wozu bräuchten wir jemanden von außen, der uns sein System auferlegt?".

Nur vier Monate später kommen nun Hunderttausende anlässlich des Todes von al Hakim wieder zusammen. Auch diesmal wieder beweisen sie, dass sie sich ohne fremde Hilfe organisieren können: Von den US-Besatzungstruppen, die einen Stützpunkt außerhalb von Nadschaf haben, ist nichts zu sehen. Sie überlassen die Sicherheitsvorkehrungen an diesen heiligen schiitischen Orten der irakischen Polizei und den schiitischen Milizen. Mitglieder der Badr-Brigaden, des bewaffneten Arms des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak (Sciri), deren Vorsitzender al Hakim war, sowie Mitglieder des Sicherheitsdienstes der Geistlichen von Nadschaf kontrollieren die Zufahrten zur Stadt. So haben die Sicherheitsdienste nach eigenen Angaben ein Auto mit Sprengstoff am Eingang zu Nadschaf abfangen können.

Damit waren sie erfolgreicher als die Kollegen in der Hauptstadt. Dort explodierte am Morgen des Beerdigungstages eine Autobombe auf dem Parkplatz der Polizeiakademie. Nach Angaben von Ärzten wurden 21 irakische Polizisten verletzt, zwei von ihnen schwer. Einer erlag später seinen Verletzungen. US-Soldaten seien nicht verletzt worden, teilte eine US-Militärsprecherin in Bagdad mit.

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