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Tatort Duisburg. Vor zehn Jahren wurden sechs Menschen in einer Pizzeria durch die Mafia erschossen.

© picture-alliance/ dpa

Die Mafia und die Kriminalstatistik: Deutschland, ein Paradies für das Organisierte Verbrechen

Die Mafia und andere Verbrechensringe tauchen in der Kriminalstatistik vor allem als Dunkelziffer auf. Es rächt sich, dass Gesetzesverschärfungen auf sich warten lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Gerade viel diskutiert wird die jüngste Kriminalstatistik, die der Bundesinnenminister vorgelegt hat. Reizworte sind dabei Begriffe wie „Zuwanderer“, die angeblich überproportional häufig an bestimmten Straftaten beteiligt waren, oder „Berlin, Hauptstadt des Verbrechens“.

Ein Phänomen aber wird so direkt überhaupt nicht benannt. Obwohl es sehr viel mehr als afghanische oder syrische Kriegsflüchtlinge – die ja zumeist Opfer sind und nicht Täter – mit dem Thema „Ausländerkriminalität“ zu tun hat. Das Phänomen heißt: Organisiertes Verbrechen.

Zur Organisierten Kriminalität gehören auch Straftaten, die in der Statistik nur einzeln als Gewalt- und Eigentumsdelikte, als Menschenhandel, Verstöße gegen das Waffengesetz, Rauschgiftdelikte, Geldwäsche oder sehr allgemein als „Wirtschaftskriminalität“ figurieren. Freilich sind das bloß die angezeigten oder von Amts wegen ermittelten Fälle, und jeder ahnt, dass die Gesamtschadenszahl von gut drei Milliarden Euro bei der allgemeinen Wirtschaftskriminalität auf einen viel größeren Posten verweist: auf die Dunkelziffer.

Gewiss ist Deutschland, was die Mafia als Mutter des Organisierten Verbrechens angeht, nicht Italien. Dort wurde der Bruder des heute amtierenden Staatspräsidenten Sergio Mattarella von der Mafia ermordet; dort hat man hunderte Bürgermeister und Gemeindeverwaltungen wegen mafioser Verbindungen durch Staatskommissare ersetzt; dort ergibt die kriminell organisierte Schattenwirtschaft so etwas wie ein zweites Brutto(un)sozialprodukt in dreistelliger Milliardenhöhe und halbiert den Staatshaushalt durch entgangene Steuereinnahmen.

Lange galt die Mafia als Mischung aus Mythos und Banditentum

Deutschland ist auch nicht Russland, China oder Mexiko, wo Mafia und Staat oft innig verbunden erscheinen, und ist nicht Nordamerika, wo das FBI schon in den 1970er Jahren den Jahresumsatz der US-Mafia durch Glücksspiel, Drogen, Prostitution und Schmuggel mit dem von General Motors verglich, dem damals weltgrößten Industriekonzern.

Obwohl die Mafia längst global expandiert und ihre Gelder international in Unternehmensbeteiligungen, Banken oder Immobilien wäscht und investiert, galt sie in Deutschland lange als eine Mischung aus Mythos, Folklore und letztlich fernem Banditentum. Selbst die Morde von Duisburg, wo die kalabrische ’Ndrangheta 2007 sechs Menschen in einer Pizzeria erschoss, wurden zunächst abgetan als Privatfehde irgendwelcher süditalienischer Dorfclans. Das ist jetzt zehn Jahre her.

Bereits Ende 2008 hatte das Bundeskriminalamt (BKA) einen umfangreichen Bericht erstellt über die Aktivitäten von rund 230 Clans und 900 Personen, die damals allein für die inzwischen weltweit dominante ’Ndrangheta in Deutschland tätig waren. Seitdem ist der Einfluss des Organisierten Verbrechens insgesamt gewachsen. Doch war beispielsweise die Rolle mehrerer libanesischer Familienclans in Berlin jahrelang kein großes Thema, auch nicht in Polizeiberichten. Sie sind dann auch weniger durch ihre organisierten Kerngeschäfte ins öffentliche Visier geraten als durch die sogenannten Ku’dammraser, die als Sozialhilfeempfänger ihre angeblich geliehenen oder geleasten 100000-Euro-Wagen in fahrende Kanonen verwandelt haben.

"Deutschland ist nicht viel besser als Nordkorea oder Afghanistan"

Roberto Saviano, der seit seinem Buch „Gomorrha“ von der Mafia verfolgte Autor, hat dem Tagesspiegel Ende 2016 anlässlich eines ihm in Potsdam in Anwesenheit der Bundeskanzlerin verliehenen Medienpreises gesagt: „Deutschland ist fast ein Paradies für das Organisierte Verbrechen, weil man die Mafia noch immer nur für ein Phänomen der Italiener, Russen oder Südamerikaner hält. Deutschlands Gesetze gegen Geldwäsche sind bisher nicht viel besser als die in Nordkorea oder Afghanistan! Das sollte auch Frau Merkel wissen.“

Ein Hauptproblem ist, dass deutsche Ermittler im Unterschied etwa zu Italien nur restriktiv abhören und verdächtige Vermögen (vorläufig) konfiszieren dürfen. Zudem gilt die schiere Mitgliedschaft in einem Mafia-Clan, anders als beim politischen Terrorismus, nicht als strafbar. Man kann das teilweise verstehen (Stichwort: Sippenhaft). Aber dass hier etliche auch vom BKA angeregte Gesetzesverschärfungen noch immer nicht offen und im legislativen Rahmen diskutiert werden, rächt sich seit Langem.

Vor 25 Jahren wurde auf Sizilien Giovanni Falcone, der bis dahin erfolgreichste Antimafia-Ermittler ermordet. Die Autobombe an der Straße vom Flughafen Palermo wurde ähnlich wie kürzlich die gegen den BVB-Bus gezündet. Doch sie war hundertmal so stark.

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