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Politik: Die Mauer des Anstoßes

ISRAEL VOR GERICHT

Von Robert von Rimscha

Politik hat viel mit Worten und deren Symbolkraft zu tun. Und das wohl umso mehr, je weiter entfernt ein Land und je undurchdringlicher ein Konflikt ist. Deshalb erleben wir seit zwei Jahren die Verkürzung des Nahostkonflikts auf einen Zaun und die korrekte Interpretation dessen, was er darstellt. Jetzt muss sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag darum kümmern, welche Deutung gelten soll. Die Justiz soll leisten, was die Politik nicht schafft.

Spaltung, Teilung, Trennung – das sind negative Begriffe. Die Grenzanlagen, die Israel gegen das Westjordanland errichtet, sind so schlicht und augenfällig, wie eine Grenzanlage nur sein kann. Für die palästinensische Propaganda ist der Zaun ein gefundenes Fressen. Seht her, hier wird eine neue Berliner Mauer errichtet, sagt Jassir Arafat. Spaltung, Teilung, Trennung – das schmeckt nach Unrecht, nach Totalitarismus. Solche Grenzen brauchte der Kommunismus, und so ähnlich ging doch auch die Apartheid vor, als sie künstliche Mini-Homelands für Südafrikas Schwarze schuf, ein Affront gegen jede Zivilisiertheit.

Nun baute die DDR die Mauer, um ihre Bürger an der Flucht in den Westen zu hindern. Von Israel ist nicht bekannt, dass Hunderttausende am liebsten die Sperranlage gen Osten überwinden würden. Arafats Dauervergleich hinkt also gewaltig. Aber er wirkt. Das merkt man daran, wie verzweifelt und, was die Weltöffentlichkeit angeht, meist vergeblich Israel versucht, den Zaun mit anderen Begriffen zu besetzen, mit positiven.

Wie wäre es mit Sicherheit, Schutz, Eigenstaatlichkeit? Das, was Ariel Scharon seinem Volk versprach, hat der Zaun gebracht: erheblich weniger Terroranschläge aus Gegenden, die nun abgeschottet sind. Dabei war die Grenzbefestigung nicht seine, sondern eine Idee der Linken im jüdischen Staat. Denn der Zaun steht für eine konkret gewordene Verzichtserklärung. Wer das Westjordanland abtrennt, erhebt keinen Anspruch mehr auf Samaria und Judäa, die jahrzehntelang ideologisch vereinnahmten Ostregionen eines Groß-Israel. Und ist der Zaun nicht zugleich die vorweggenommene Anerkennung einer anderen staatlichen Einheit? Dessen, was drüben liegt? Also jenes Palästina, das im Westjordanland liegen soll?

Nun setzte nicht Israels Linke den Zaun durch, sondern Scharon. Dies hat alles an Erklärungen durcheinander gewirbelt, was bislang als Gewissheit im Konflikt Israels mit den Palästinensern galt. Wie, die Rechte verzichtet auf biblisches Land? Wie, Scharon definiert den Staat Palästina?

Im Alltag allerdings gibt es keine sauber trennbaren Einheiten, aus denen jene Zweistaatlichkeit entstehen könnte, die der Westen seit Jahrzehnten fordert. Und eben hier beginnt es erst wirklich kompliziert zu werden. Der Zaun schmiegt sich nur gelegentlich an die Grüne Linie von 1967. Zehntausende Palästinenser leben westlich des Zauns, und zehntausende jüdische Siedler östlich. Wie diese Ausgesperrten die Grenze überwinden können – das ist noch völlig offen. Ob durch den Zaun annektiertes Westjordanland einst zurückgegeben wird, steht völlig dahin. Im Alltag zeigt sich auch, dass der Zaun als Instrument der israelischen Militärmacht gebraucht wird, um Palästinenser zu demütigen. Schikanös wird der Übertritt mal genehmigt, mal verweigert, und als Erklärung hört man Sätze wie: „Wir müssen doch zeigen, wer hier das Sagen hat!“

Das eigentliche Problem, was den Verlauf des Zauns angeht, ist noch gar nicht sichtbar. Erst im Planungsstadium ist die Streckenziehung auf der Ostseite, hin zu Jordanien. Israel beansprucht dort einen Schutzraum, um das Einsickern von Terroristen zu verhindern. Entsteht tatsächlich zehn oder 20 Kilometer westlich der jordanischen Grenze der Ost-Zaun, so bleibt vom Westjordanland wirklich nur ein schmales Homeland übrig.

Gewiss ist nur eins. Die Politik muss in Verhandlungen diesen Zaun korrigieren oder beseitigen – im Rahmen einer Gesamtlösung. Doch von den drei Wichtigsten, die verhandeln könnten, hat derzeit keiner Lust oder das nötige Mandat seiner Unterstützer – weder Scharon, noch Arafat, noch George W. Bush als Impulsgeber aus Washington. Den Haag wird mit seinem Spruch lediglich der einen oder anderen Seite Munition liefern. Mit der man schießen kann – oder reden.

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