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Politik: "Die Mauer trennte auch Polen vom Westen" - Verleihung des deutsch-polnischen Preises an die Ex-Außenminister Genscher und Skubiszewski

Der Mauerfall war nicht nur für Deutschland ein Ereignis, das seine Geschichte in neue Bahnen lenkte. Er veränderte auch das Schicksal der deutschen Nachbarn im Osten.

Der Mauerfall war nicht nur für Deutschland ein Ereignis, das seine Geschichte in neue Bahnen lenkte. Er veränderte auch das Schicksal der deutschen Nachbarn im Osten. "Die Mauer teilte nicht nicht nur Deutschland, sie trennte auch Polen und die anderen Länder Mittel- und Osteuropas vom Westen", betonte Polens Außenminister Bronislaw Geremek bei der Verleihung des deutsch-polnischen Preises an Hans-Dietrich Genscher und Krzysztof Skubiszewski, die Außenminister der Bundesrepublik und Polens im Herbst 1989. Mit der Gründung der Solidarnosc, der ersten freien Gewerkschaft im Warschauer Pakt, habe Polen 1980/81 "den ersten Keil in den Ostblock getrieben". Bundesaußenminister Joschka Fischer hob hervor, die Lage in Polen sei immer auch "ein Gradmesser für die Freiheit in Europa, auch der in Deutschland" gewesen.

Die deutsch-polnische Wende-Harmonie im Marmorsaal des Palais am Festungsgraben sollte am zehnten Jahrestag des Mauerfalls auch von aktuellen Meinungsverschiedenheiten nicht getrübt werden. Zu den umstrittenen Äußerungen des Regierungsbeauftragten für die Entschädigung früherer NS-Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, sagte Bronislaw Geremek überraschend, sie würden "auf gar keinen Fall zu einer Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen führen". Die deutsch-polnischen Beziehungen seien so gut, dass solche Irritationen "nicht in der Lage sind, die erreichten Fortschritte zu gefährden", betonte Geremek nach der Preisverleihung gegenüber dem Tagesspiegel.

Geremek wandte sich damit gegen Stimmen in Polen, die seit Tagen von einer schweren Belastung des bilateralen Verhältnisses sprechen und relativierte auch seine eigene Kritik an Lambsdorff. Für Empörung hatte in Polen der Verdacht gesorgt, Lambsdorff wolle den polnischen Zwangsarbeitern in der deutschen Landwirtschaft die volle Entschädigung vorenthalten, nachdem eine polnische Zeitung ihn mit den Worten zitiert hatte, in der deutschen Landwirtschaft seien Ostarbeiter zu allen Zeiten eine "natürliche historische Erscheinung" gewesen. Nach seinem Gespräch mit Bundesaußenminister Fischer habe er "volles Vertrauen, dass die Bundesregierung eine für alle Beteiligten zufrieden stellende Lösung findet", sagte Geremek.

Genscher und Skubiszewski erhielten den Preis, der seit 1993 für besondere Verdienste in den deutsch-polnischen Beziehungen verliehen wird, für die Behandlung der Frage der polnischen Westgrenze im deutschen Einigungsprozess - trotz der unterschiedlichen Rechtsauffassungen über die Oder-Neiße-Linie. Genscher hatte Polen bei der UN-Generalversammlung im September 1989 zugesichert, dass das deutsche Volk das Recht des polnischen Volkes anerkenne, in gesicherten Grenzen zu leben, und die Bundesrepublik keine Gebietsansprüche erheben werde. Geremek hob eine in Deutschland wenig beachtete historische Leistung der Solidarnosc hervor: Zu einer Zeit, als das kommunistische Regime in Warschau sich als einzig verlässliche Garantie für die Sicherheit der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße aufspielte, hatte die Solidarnosc sich unmissverständlich für die deutsche Einheit ausgesprochen - weil sie für Polen der einzige Weg sei, sich von der Zwangseingliederung in den Ostblock zu befreien. "Man musste die Ängste ausräumen, um der Hoffnung Platz zu machen." Diese Haltung habe Skubiszewski als erster Außenminister des demokratischen Polen 1989 und 1990 vertreten.

Bundesaußenminister Fischer sagte, Polens Aufnahme in die EU sei die natürliche Konsequenz dieses Weges. Sie sei "nicht ein großzügiges Geschenk der heutigen EU-Mitglieder, sondern ein gemeinsames Ziel". Der Bestseller-Autor Andrzej Szczypiorski nannte es "eine bequeme Ausrede, dass die Osteuropäer selbst schuld sind an ihrer Misere". Er sei "glücklich, dass es Polen und Deutsche und viele andere Europäer gebe, die sich mit dieser Vereinfachung der Nachkriegsgeschichte nicht abfinden." Er sei stolz, dass sein Volk so viel zur Wende von 1989 beigetragen habe.

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