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Politik: Die Medien wollen Jörg Haider als rechtsextrem entlarven. Aber sie schaffen es nicht

Wie sollen die Medien mit Jörg Haider umgehen? Es hat sich in Deutschland ein ziemlich kriegerisches Vokabular durchgesetzt: Angeblich kommt es darauf an, Haider "die Maske vom Gesicht zu reißen", ihn "in die Ecke zu treiben", ihn zu "entzaubern".

Wie sollen die Medien mit Jörg Haider umgehen? Es hat sich in Deutschland ein ziemlich kriegerisches Vokabular durchgesetzt: Angeblich kommt es darauf an, Haider "die Maske vom Gesicht zu reißen", ihn "in die Ecke zu treiben", ihn zu "entzaubern". Man will als Interviewer von Haider nichts erfahren. Man will gegen ihn kämpfen und siegen. Ein Journalist, der Haider interviewt, tut folglich gut daran, böse auszusehen - wie es besonders Furcht einflößend die Drachentöter Sigmund Gottlieb und Marion van Haaren in der ARD vorgeführt haben.

Aber so steht es nicht in den journalistischen Lehrbüchern. Jeder Interviewpartner hat, im Gegenteil, Anspruch auf ein gewisses Maß an Unvoreingenommenheit, sogar Fairness. Oder soll man Haider am Besten gar nicht interviewen, ihm "kein Forum bieten", wie einige verlangt haben? In einer Medienlandschaft, in der Fernsehinterviews mit verurteilten Mördern und ehemaligen Diktatoren zum Alltag gehören, wirkt diese Forderung ein wenig weltfremd. Nein, der erste Schaden, den Jörg Haider nachweislich angerichtet hat, ist ein Dachschaden an jenem Haus, in dem das journalistische Ethos wohnt. Aber dafür kann Haider nichts.

Bisher war Haider all seinen deutschen Gesprächspartnern auf provozierend lässige Weise überlegen - dem beleidigten Gottlieb, dem ironischen Erich Böhme, dem eitlen Ralph Giordano, dem unvorbereiteten Schwadroneur Freimut Duve. Die Maske des sympathischen, dynamischen Polit-Managers blieb bei Haider dran. Aber was ist, wenn es sich gar nicht um eine Maske handelt? Womöglich ist das Chamäleonhafte an Haider nicht Verstellung, sondern sein wahres Wesen. Womöglich versteckt sich in seinem Inneren kein Nazi, sondern ein Vakuum. Einiges spricht dafür, dass es sich bei Jörg Haider nur um ein weiteres Exemplar einer Politikergattung handelt, die es neuerdings immer häufiger in allen politischen Lagern gibt: Leute, die kaum noch Überzeugungen haben, stattdessen ein sehr großes Gespür dafür, was gerade gefragt ist.

Haider sagt, was die Leute hören wollen. In einem Bierzelt, in dem Rechtsradikale hocken, ist das naturgemäß etwas anderes als am nächsten Morgen in einem Studio mit linksliberalen Intellektuellen. Womöglich weiß Haider selber nicht, wer er ist. Wie sollen es da die Journalisten herausfinden?

Haider hat eine erotische Lust an der Macht. Haider weiß, wie man sich inszeniert. Haider passt sein Verhalten blitzschnell den Stimmungen an. Haider hat einen starken Instinkt und schwache Prinzipien. Diese Eigenschaften sind nicht dämonisch. Gerhard Schröder besitzt sie ebenfalls.

Haider sagt etwas und entschuldigt sich anschließend dafür. Deswegen bringt es wenig, ihm seine Zitate von gestern vorzuhalten. Gestern war er vielleicht Neonazi, morgen ist er vielleicht grün, wer weiß. Entschuldigungen und Teilrückzüge gehörten auch zu den Standards der ersten Schröder-Monate. Ob es nun das Schröder-Blair-Papier war, der Eindruck der sozialen Kälte, die Modefotos im Brioni-Mantel oder das Wort vom Holocaust-Mahnmal, wo man gerne hingeht - man ist als moderner Politiker kreativ und probiert auch mal etwas Unkonventionelles aus, aber zieht sich zurück, sobald das Publikum negativ reagiert.

Haider ist nur dann ein Nazi, wenn die Mehrheit in Österreich auf Gedeih und Verderb einen Nazi haben will. Aber dann hilft ein Interviewboykott sowieso nicht mehr weiter, dann ist es eher an der Zeit, UN-Truppen dort hin zu schicken. Nein, es gibt keinen Grund, Jörg Haider zu dämonisieren. Er ist nicht von gestern, sondern von heute, ganz und gar.

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