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Politik: Die Nacht der kleinen Augen

24 Stunden Dauer-Verhandeln – am Ende kamen die 25 Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel doch noch zu einer Einigung

Das Warten hat sich gelohnt. Nach mehr als 24 Stunden zäher Dauerverhandlungen, nach dramatischen Krisensituationen, in denen alles auf der Kippe stand, tritt Angela Merkel Punkt drei Uhr am Samstagmorgen vor die Presse. Entspannt, ohne ein Zeichen der Erschöpfung und mit sichtlicher Erleichterung meldet sie den Erfolg des Brüsseler Verhandlungsmarathons: „Es ist geschafft. Wir haben eine gute Einigung – ein Signal der Hoffnung für Europa.“

Was zu Beginn des Gipfels noch wenige für möglich hielten, ist erreicht. Die 25 Staats- und Regierungschefs der EU haben sich auf einen Kompromiss verständigt, mit dem offenbar alle leben können Der Finanzrahmen der EU für die Jahre 2007 bis 2013 ist gezimmert. „Wir haben einen großen Brocken weggerollt“, sagt Angela Merkel sichtlich erleichtert. „Europa hat heute seine Handlungsfähigkeit bewiesen. Die neuen Mitgliedstaaten im Osten haben jetzt die Planungssicherheit, die sie für den wirtschaftlichen Aufbau dringend brauchen.“

Dass das äußerst schwierige EU-Gipfeltreffen wider Erwarten mit einem Erfolg endet, ist nicht nur gut für Europa, sondern auch für das Koalitionsgespann, CDU-Kanzlerin und SPD-Außenminister, die ihre erste europäische Bewährungsprobe mit Glanz bestanden haben. Die schon im Vorfeld des Gipfels geschickt taktierende Angela Merkel und der zähe Arbeiter Frank-Walter Steinmeier haben, so meinten am Wochenende die Beobachter in Brüssel anerkennend, gute Arbeit geleistet. Noch in der Nacht zuvor war die Kanzlerin eher zurückhaltend-skeptisch. Ein Scheitern der politisch so brisanten Verhandlungen über den mittelfristigen Finanzplan der EU konnte sie nicht ausschließen.

Der Ausgleich der gegensätzlichen Interessen glich einer Quadratur des Kreises – hier die Briten, die sich gegen den längst überfälligen Abbau ihres Beitragsrabatts und eine faire Beteiligung an den Kosten der EU-Erweiterung sperrten, dort die Franzosen, die das schon 2002 festgeklopfte Agrarbudget verteidigten. Daneben die neuen EU-Mitgliedstaaten, die von ihren EU-Partnern Hilfe für ihren wirtschaftlichen Aufbau erwarten. Auf der anderen Seite die so genannten Nettozahler wie Schweden oder Deutschland, die schon bisher mehr in die EU-Kasse einzahlen, als sie über EU-Programme wieder zurückerhalten. Sie wollten die EU-Ausgaben der nächsten sieben Jahre möglichst weit unten deckeln.

Die Schlüsselrollen spielten bei diesem innereuropäischen Verteilungskampf nicht die Deutschen, sondern Briten, Franzosen und Polen. Obgleich Deutschland in diesem Interessengeflecht durchaus eigene nationale Wünsche wie die Strukturhilfe für die neuen Bundesländer vorbrachte, versuchten Merkel und Steinmeier, zwischen den Lagern fair zu vermitteln.

Als sich am frühen Freitagnachmittag fast alle Regierungschefs eine Auszeit nahmen und sich in ihre Hotels zurückzogen, blieben nur der amtierende EU-Ratspräsident, der britische Premier Tony Blair, und die deutsche Kanzlerin in der Arena zurück. Mit der Rückkehr der Akteure gegen 15 Uhr begann der zweite Akt des Gipfeldramas: „Ich habe ein wenig geschlafen“, sagte Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker – ein erster Hinweis auf die lange Nacht, die folgen sollte. Vom Mittagsschläfchen noch benommen war offenbar auch Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der vor laufenden Kameras gegen die Tür des Aufzugs lief.

Die letzten Stunden des Gipfels liefen dann so ab: Briten und Experten der EU-Kommission zogen sich zurück, um die endgültigen Finanzvorschläge durchzurechnen. Die restlichen 24 Regierungschefs verbrachten die Zeit auf den giftgrünen Sesseln der Lobby und an der Bar, tranken Kaffee, lasen die neuesten innenpolitischen Nachrichten und machten Smalltalk. Am Ende bekam jeder etwas vom Brüsseler Kuchen – auch Deutschland, das weniger als ursprünglich vorgesehen in die Kasse zahlen muss.

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