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Politik: Die Nähe des Bösen

FOLTERER IN UNIFORM

Von Tissy Bruns

Mit den Bildern aus dem Gefängnis Abu Ghraib kann nur umgehen, wer sie doppelt abwehrt. Denn fertig werden kann mit ihnen niemand. Der Iraker nicht, der sich mit den Opfern identifiziert. Der verantwortliche Politiker oder Militär in den USA oder Großbritannien nicht, der diese Verantwortung für den Rest seines Lebens trägt. Der Bürger jedes beliebigen demokratischen Landes nicht, der in der Gewissheit lebt, dass Rohheit, Sadismus, willkürliche Erniedrigung von Staats wegen gebannt sind.

Der erste Impuls zielt auf tatkräftiges Handeln; er gilt der Abwehr einer Wiederholung des Schreckens. Wenn es denn schon geschehen ist, müssen wir wissen, wer schuldig ist. Wer weggesehen hat, obwohl er verantwortlich war. Ob es Strukturen gibt, die den Tätern ihr Werk leicht gemacht oder nahe gelegt haben. Es kann nicht als schlimme Ausnahme behandelt werden, wenn Befreier in amerikanischen Uniformen foltern – nach einem Krieg, dem als einzige Legitimation nur noch die Befreiung von einem folternden Unterdrücker geblieben ist.

Der US-Präsident und sein Verteidigungsminister haben dieses Verlangen nach Aufklärung, Haftbarmachung und Strafe sträflich unterschätzt. Denn George W. Bush und Donald Rumsfeld haben sich instinktiv dem zweiten Abwehrimpuls ergeben. Die erste Reaktion der Verantwortlichen in den USA folgte dem Muster der Verdrängung, wonach nicht sein kann, was nicht sein darf. Verdrängen darf der normale Bürger. Aber ganz und gar unerlaubt ist es für Politiker, die verantwortlich sind für das Verhalten einer Armee, die einen Krieg geführt hat und weitere führen wird.

Natürlich lösen die Szenen aus Abu Ghraib eine zweite, die innere Abwehr dagegen aus, dass überhaupt geschehen ist, was wir da sehen. Das ist die Notwehr der Seele, die immer mobilisiert wird, wenn in geordnete Verhältnisse das Grauen tritt. Wenn ein Einzelner sinnlos Amok läuft, wenn ein besonders schrecklicher Mord keine Erklärung findet als diese – das ist das Böse. Ins kollektive Gedächtnis Europas haben sich die Weltkriege eingebrannt wie Vietnam sich in das der USA: Der Krieg legt das Böse in vielen Menschen frei, die sonst als harmlose Bürger leben. Denn immer wieder hat sich die Zivilisation als dünne Schicht erwiesen, wenn harmlose Bürger, wenn junge Menschen mitten in die Gewalt, in die systematische Gewalt eines Krieges geraten. Wenn Waffen und Uniform ihnen eine Macht in die Hände legen, die sie zu Hause niemals hätten.

Krieg steht unter dem Grundverdacht, das Schlechteste aus den Menschen zu machen. Deshalb ist ein folternder Soldat aus einer Demokratie nie nur Einzelfall. Er wirft immer die Frage auf, ob das, was er getan hat, dem Krieg unvermeidlich innewohnt. Wenn Bush und Rumsfeld Abu Ghraib schon vor einer gründlichen Untersuchung zum Einzel- und zum Sonderfall erklären, dann schwingt darin die resignierte Botschaft: Im Krieg passiert so etwas nun einmal.

Deshalb müssen die USA und Großbritannien jeden einzelnen Vorwurf untersuchen und aufklären, ohne Scheu davor, auf strukturelle und systematische Erklärungen zu stoßen. Dazu gehört Guantanamo, das Menschen ganz offiziell einem rechtsfreiem Raum ausliefert. Gefragt werden muss nach der Rekrutierung der Soldaten, nach ihrer Ausbildung und Einstellung.

Deshalb darf aber auch für europäischen Hochmut kein Platz sein, der alle Empörung bei den Irak-Kriegsparteien ablädt. Denn nach Srebrenica, Kosovo und Afghanistan steht fest, dass es ein „Nie wieder“ auch für Europa nicht mehr geben wird. Die Lehren aus Abu Ghraib sind Lehren für die demokratische Welt.

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