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Politik: Die Nato in der Nato

Von Christoph von Marschall Wozu brauchen wir die Nato noch? Russland sitzt jetzt mit am Tisch, die sowjetische Bedrohung, gegen die das Bündnis 1949 gegründet worden war, ist Geschichte.

Von Christoph von Marschall

Wozu brauchen wir die Nato noch? Russland sitzt jetzt mit am Tisch, die sowjetische Bedrohung, gegen die das Bündnis 1949 gegründet worden war, ist Geschichte. Ist die Allianz nicht so überflüssig wie andere Relikte aus dem Kalten Krieg? So fragen Menschen in Westeuropa, wo Eigenstaatlichkeit in sicheren Grenzen seit langem eine Selbstverständlichkeit ist. Für Mittel- und Osteuropäer, auch für viele Russen, ist die Nato eine Edelmarke: so zuverlässig wie ein Mercedes, so imageträchtig wie das New Yorker Mode-Label Donna Karan. Beim Herbstgipfel in Prag werden mindestens sieben neue Länder aufgenommen: die drei baltischen Staaten, die Slowakei und Slowenien sowie Rumänien und Bulgarien, die beide vorerst keine Aussicht auf EU-Beitritt haben.

Eine weiche Umarmungsstrategie statt der harten Verteidigungsdoktrin: Wer sich ausgeschlossen oder bedroht fühlen könnte, wird aufgenommen oder zum engen Kooperationspartner befördert. Seit 1989 ist die Allianz ihrer Sinnkrise immer wieder erfolgreich ausgewichen, indem sie eine unablässige Abfolge „historischer Stunden“ produzierte: Partnerschaft für den Frieden, Manöver mit ehemaligen Gegnern, der russische Verbindungsgeneral im Brüsseler Hauptquartier, die erste Erweiterung um Polen, Tschechien und Ungarn . . . Wie oft kann man eigentlich noch das Ende des Kalten Krieges begehen, ohne dass es auffällt?

Bei so viel Entspannung wird es manchem ganz schummerig zu Mute. Versöhnung nach Osten und politische Stabilisierung der Zerfallsprodukte des Ostblocks – schön und gut. Was aber, wenn Militär für gefährliche Einsätze gebraucht wird? Für Sicherheitsdiplomatie gab und gibt es andere Institutionen: die Vereinten Nationen, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Nur konnten die in Bosnien, Kosovo und Mazedonien wenig ausrichten. Dort wurde die Schlagkraft der Nato gebraucht, um den Krieg zu stoppen.

Ist die Nato noch fähig zu harten Entscheidungen, wenn demnächst 27 oder mehr Mitglieder am Tisch sitzen – auch wenn Russland kein Veto hat und bei internen Fragen nicht mitstimmt? Und handlungsfähig mit 27 oder mehr zusammengewürfelten Armeen, von denen nur die westlichen verlässliche Kooperation eingeübt haben? Zumal das Waffenmaterial, das die neuen Mitglieder mitbringen, fast so alt ist wie die Allianz selbst.

Vor allem die Europäer müssen diese schleichende Entwertung fürchten, weil ihre Einflussmöglichkeiten schrumpfen. Die USA können alleine handeln. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus hat die Nato nur eine politische Funktion, keine militärische – obwohl erstmals der Bündnisfall beschlossen wurde. Amerikas Dominanz ist nur ein Grund dafür, der andere: Europa hat technisch wenig anzubieten, abgesehen von Nischen wie den deutschen Giftgas-Spürpanzern am Golf. Deshalb wurde gestern in Rom wieder über die Modernisierung der europäischen Armeen gesprochen.

Die Nato wird gebraucht, nicht die alte von vor 1989 und auch keine zweite OSZE, sondern eine erneuerte Nato mit einem belastungsfähigen europäischen Pfeiler. Militärisch, weil der ewige Frieden nicht ausbricht. Auf das Ende des Ostblocks folgten Kuwait- und Balkankrieg, auf die Befriedung des Kosovo der 11. September. Wenn es ernst wird, gibt es eine Nato in der Nato: eine Koalition von Staaten, die willens und fähig sind zu handeln. Auch politisch ist die Nato unverzichtbar, gerade mit ihrer immer weiter ausgreifenden Umarmungsstrategie: als Ansatz zu einer globalen Sicherheitsstruktur, die Friedensstörer abschreckt und den UN als Weltpolizei dient. Keine schlechte Perspektive.

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