zum Hauptinhalt

Politik: Die neuen Illusionen - Die Ex-Spontis wollen heute alles regeln - vom Atomausstieg bis zu Fischers Rolle (Kommentar)

Ob die Grünen eine staatsgläubige Partei sind, wie ein altes Vorurteil lautet, darüber mag man streiten. Jedenfalls sind sie eine regelungsgläubige Partei.

Ob die Grünen eine staatsgläubige Partei sind, wie ein altes Vorurteil lautet, darüber mag man streiten. Jedenfalls sind sie eine regelungsgläubige Partei. Sie ringen ihrem Koalitionspartner Richtlinien für den Rüstungsexport ab und meinen, das Problem damit im Griff zu haben. Sie streiten um ihre Organisationsstruktur und meinen, so ihr Führungsproblem lösen zu können.

Denkste. Regeln lenken politische Prozesse in Bahnen, sie ersetzen sie nicht. Politik machen heißt: unter Entscheidungsstress handeln. Und damit haben die Grünen Probleme. Deshalb möchten ausgerechnet die Konfliktbolzen von einst, die Politik lieber auf der Straße gemacht hätten, in eine schöne heile Regelungswelt flüchten.

Zu diesem Regelungswahn gehört die Vorstellung, mit Parteitagsbeschlüssen den Ausstieg aus der Atomenergie befördern zu können. Beschließen lässt sich der Grundsatz: Raus! Das "Wie" ist Sache praktischen Verhandelns. Deshalb kann der Parteitag am Wochenende in Karlsruhe nichts besseres tun, als den Unterhändlern genau jenes Maß an Unterstützung, aber auch Autonomie für ihr Tun zuzubilligen, das sie sich wünschen. Am Ende kann man sich dann streiten, wie nah oder fern grünes Regelwerk und die Ergebnisse grüner Politik voneinander sind.

Die Welt als Wille und Vorstellung - noch gravierender ist das Ausmaß verzerrter Realitätswahrnehmung in der Frage der Organisationsstruktur. Es muss so bleiben, wie es ist, sonst wird ein System Kohl auch bei uns möglich. Es muss anders werden, sonst kriegen wir unseren Fischer nie in den Griff. So lauten, nur leicht überspitzt, die widerstreitenden Positionen. Ach was. Die Grünen können sich eine noch so schnieke professionelle Führungsstruktur leisten, eins werden sie so nicht ändern: die Sonderstellung Joschka Fischers.

Denn die hängt nicht von irgendwelchen Strukturen ab. Man mag Fischer mögen oder nicht - der Mann ist Klassen besser als die nächstfolgenden in seinem Verein. Er ist in der grünen Partei der Einzige, bei dem man sich nicht scheut, das altmodische Wort "Charisma" in den Mund zu nehmen. Das ist jene merkwürdige Aura, die wenigen Politikern auf je unterschiedliche Weise zuwächst. Helmut Schmidt mag ein besserer Kanzler gewesen sein, unvergessen bleibt Willy Brandt. Fritz Kuhn, Renate Künast e tutti quanti mögen bessere Parteisprecher werden als ihre Vorgängerinnen - Fischer werden sie nie mehr als höchstens das Wasser reichen dürfen.

Das soll nicht heißen, dass die Grünen keine vernünftige Parteistruktur brauchen. Dennoch wird der "informelle" Vorsitzende über ihnen stehen. Dafür sorgt schon sein Ansehen bei denen, die noch wichtiger sind als die Parteimitglieder: die Wähler. Fischer ist einer der am meisten geachteten Politiker der Republik. Das sollten seine realpolitischen Freunde bedenken, die in Distanzierungsrituale verfallen, seit ihm im Handlungsstress Fehler nicht bloß als weit auseinanderliegende Einzelfälle unterlaufen. Wenn Fischer schwächelt, macht das die Grünen nicht stärker. Umgekehrt muss der Charismatiker die eigenen Schwächen ernster nehmen. Offenbar hat er sein Ministerium nicht so im Griff, wie er dachte, offenbar bedarf seine Einmischung in die Parteipolitik größerer Stetigkeit. Fischer leidet nicht weniger an den Grünen als diese an ihm. Ließen beide ihren Unlustgefühlen freien Lauf - sie wären die Spontis ihrer politischen Pubertät geblieben.

Thomas Kröter

Zur Startseite