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Politik: Die Parteien wollen die Rechte des tschechischen Präsidenten beschneiden, doch nun ist seine Schmerzgrenze erreicht

"Die Macht der Machtlosen" heißt ein Essay von Vaclav Havel aus der Zeit der kommunistischen Diktatur, als der heutige tschechische Präsident noch Dissident war. Jetzt, als Staatsoberhaupt, soll Havel offenbar erfahren, was es heißt, als ein Machtloser an der Macht zu sein.

"Die Macht der Machtlosen" heißt ein Essay von Vaclav Havel aus der Zeit der kommunistischen Diktatur, als der heutige tschechische Präsident noch Dissident war. Jetzt, als Staatsoberhaupt, soll Havel offenbar erfahren, was es heißt, als ein Machtloser an der Macht zu sein. Dies wünschen ihm jedenfalls die zwei stärksten Parlamentsparteien in der Tschechischen Republik, die regierenden Sozialdemokraten (CSSD) und die Bürgerlichen Demokraten (ODS), deren gemeinsame Kommission während der Sommerferien an einer ganzen Reihe von Verfassungsänderungen tüftelte. Das Ergebnis der Senatsnachwahl vom vorigen Wochenende dürfte jedoch die Umsetzung dieser Pläne der verdeckten "großen Koalition" zumindest erschweren: Mit dem Sieg des unabhängigen Kandidaten und Millionärs Vaclav Fischer hat sie ihre Verfassungsmehrheit im Parlament verloren.

Viele der Vorschläge haben ein einziges Ziel: die ohnehin spärlichen Kompetenzen des tschechischen Präsidenten weiter einzuschränken. Hatte Havel bisher nach den Parlamentswahlen Raum für seine Verhandlungskunst, um die Koalitionsfähigkeiten einzelner Parteien auszuloten und den in dieser Hinsicht aussichtsreichsten Politiker mit der Regierungsbildung zu beauftragen, könnte er künftig einfach nur noch den Wahlsieger zum Ministerpräsidenten küren. Auch die Mitglieder des Zentralbankrates dürfte der Präsident nicht mehr aussuchen. Eingeschränkt werden soll künftig auch das Begnadigungsrecht. Laut Havel zeigten die Vorschläge einen "merkwürdigen Hass oder eine Angst" sowie die Bestrebung, "aus dem Präsidenten eine Marionette zu machen". Sollten diese Pläne verwirklicht werden, könne er sich nicht mehr vorstellen, in seinem Amt zu bleiben, betonte Havel im Tschechischen Rundfunk.

Die Bestrebungen der Verfassungstüftler kommen jedoch keineswegs aus heiterem Himmel. Bereits Ende 1992, als vor dem Zerfall der Tschechoslowakei die neue tschechische Verfassung formuliert wurde, büßte der Präsident darin etliche Vollmachten ein. Seitdem besitzt das tschechische Staatsoberhaupt keine Möglichkeit mehr, dem Parlament seine eigenen Gesetzentwürfe vorzulegen. Der sich anbahnenden Teilung der Tschechoslowakei vor sechs Jahren wollte Havel nämlich mit einem Bündel von gesetzlichen Maßnahmen, darunter einer Volksabstimmung, Einhalt gebieten. Seine Vorschläge wurden von den damaligen föderalen Abgeordneten jedoch nicht aufgegriffen. Seitdem hat der tschechische Präsident lediglich die Möglichkeit, bereits verabschiedete Gesetze an das Parlament zurückzuschicken. Ein Veto-Recht hat er dabei aber nicht, seine Einwände werden im Abgeordnetenhaus wie im Senat meist einfach ignoriert.

Der Wunsch der CSSD und der ODS, die weitere Einengung der Präsidialmacht bis Jahresende durchzudrücken, lässt sich aber nach dem Sieg Fischers im Wahlbezirk Prag-Mitte nicht mehr ohne weiteres verwirklichen. Auf der Suche nach Verbündeten für eine neue Verfassungsmehrheit könnten aber die beiden großen Parteien bei den kommunistischen Senatoren fündig werden, denn diese haben inzwischen ihren eigenen Vorschlag zur Beschneidung der Präsidenten-Kompetenzen vorgelegt. Mit wenigen Ausnahmen liegt Havel nämlich fast allen tschechischen Politikern - von links bis rechts - im Magen, vor allem, weil er mit seinem moralischen Gewicht der kleinlichen "Kontrolle" durch die Parteien ständig entgleitet. Sollte der bis 2003 gewählte Präsident aber tatsächlich die Flinte ins Korn werfen, taucht die Frage auf, was Havels Nachfolger mit einem dermaßen ausgehöhlten Amt noch anfangen kann. Die Quelle von Havels Autorität liegt ganz offensichtlich jenseits seiner amtlichen Macht: Sonst hätte er jetzt schon praktisch gar keine.

Ludmila Rakusan

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