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Politik: „Die Pastoren müssen sich auf die Socken machen“

Der scheidende Ratsvorsitzende Manfred Kock fordert einen neuen Anlauf für ein konfessionsübergreifendes Sozialwort

An diesem Dienstag wird Ihr Nachfolger als Ratspräsident gewählt. Was war für Sie das schönste Erlebnis Ihrer Amtszeit?

Der Ökumenische Kirchentag in Berlin war sicher ein Höhepunkt. Aber es gehört zu den schönsten Erfahrungen meiner gesamten Amtszeit, dass wir trotz mancher Irritationen bei einem ökumenischen Miteinander geblieben sind.

Eine Umfrage hat gezeigt, dass sich nur noch ein ganz kleiner Teil der Kirchenmitglieder aktiv am Gemeindeleben beteiligt. Ist Kirche nur noch Sache einer Minderheit?

Rund 16 Prozent fühlen sich mit ihrer Kirche noch eng verbunden. Das sind über vier Millionen Menschen. Wo gibt es schon einen Verein, der so viele aktive Mitglieder hat? Aber ich will das Problem nicht verhehlen: Wir haben immer mehr darum zu kämpfen, dass sich die Menschen mit der Kirche identifizieren, auch durch eine aktive Mitarbeit.

Muss die Kirche stärker für sich werben?

Auf jeden Fall. In den Gemeinden muss man noch aktiver auf die Menschen zugehen. Die Pastoren müssen sich auf die Socken machen. Wenn ich so etwas sage, kriege ich immer kritische Briefe, als wollte ich unterstellen, dass die Leute nicht richtig arbeiten. Das meine ich nicht. Aber wir müssen deutlicher überlegen, wie wir nach außen wirken können. Wir dürfen uns nicht auf die beschränken, die immer schon dazugehören.

Sie haben sich klar gegen den Irak-Krieg ausgesprochen. Wie politisch darf Kirche sein?

Eine Kirche, die aufhört, sich um die Dinge zu kümmern, die den Menschen Sorge, Leid oder auch Freude bereiten, ist nicht mehr Kirche, sondern ein introvertierter, religiöser Club. Allerdings darf sie keine parteipolitischen Optionen haben. Sie braucht den Respekt vor der ganzen Spannbreite politischer Überzeugungen. Das Wichtigste, was die Kirche im politischen Umfeld tun kann: Sie kann ihre Mitglieder motivieren, sich selbst politisch zu engagieren – in den Parteien.

Warum meldet sich die Kirche nicht auch bei anderen Themen deutlicher zu Wort?

Es gibt eine Reihe von Themen, in denen wir deutlich sind. Aber in manchen Bereichen sind wir mit der Diskussion noch nicht fertig. Hier muss die Kirche nicht unbedingt Position beziehen, sondern einen Dialog ermöglichen. Sie stellt sicher, dass einzelne Positionen nicht einfach untergebügelt werden. In der Debatte um Sozialreformen müssen wir dafür sorgen, dass die kritischen Stimmen genauso gehört werden wie diejenigen, die die derzeitige Politik stützen.

Sie haben Mut zu Reformen gefordert, aber auch den Schutz der Schwachen angemahnt. Ist der Reformprozess nun auf dem richtigen Weg?

Wichtig ist, dass überhaupt etwas in Gang gekommen ist. Wir brauchen die Einsparungen. Noch nicht erkennbar ist das Maß der Belastung für diejenigen, die in unserer Gesellschaft die Belastbarsten sind. Wenn sich die „Starken“ in der Gesellschaft zu sehr belastet fühlen, können sie sich über die Grenze absetzen und sich damit unserem gesamtem System entziehen. Das halte ich für sehr bedenklich.

Brauchen die Kirchen ein neues Sozialwort?

Wir müssen das Sozialwort weiterentwickeln. Den Konsultationsprozess der 90er Jahre können wir vermutlich so nicht wiederholen. Das war ein einmaliges Verfahren. Aber wir müssen uns über die Frage, was zu tun ist, gesamtgesellschaftlich verständigen. Daher brauchen wir noch einmal einen neuen Anlauf, hoffentlich auch konfessionsübergreifend. Es müsste darum gehen, wie man die Anpassung an geringere finanzielle Möglichkeiten so gestalten kann, dass dabei das Prinzip der Gerechtigkeit gewahrt bleibt. Dazu brauchen wir auch die Expertise von anderen, von Wissenschaftlern, Unternehmern, Gewerkschaften und Politikern.

Ist eine Nullrunde für Rentner zumutbar?

Es darf kein Tabu sein, dass es auch einmal keine Erhöhung gibt. Das akzeptieren die meisten Rentner, wenn es eine Voraussetzung für künftige Stabilität ist. Bei einer Nullrunde muss man jedoch darauf achten, dass diejenigen, die am untersten Ende der gesellschaftlichen Wirklichkeit stehen, nicht unter die Armutsgrenze fallen. Gerade viele Hinterbliebenenrenten sind sehr niedrig. Man darf nicht mit dem Rasenmäher kürzen – hier geht es um Augenmaß. Nun sagen die Experten, das sei alles sehr kompliziert. Aber ich halte das für Ausreden. Es gibt so viele Ausnahmen im Steuerrecht. Warum soll man nicht auch im Rentensystem solche Möglichkeiten schaffen?

Das Gespräch führte Claudia von Salzen.

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