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Politik: Die Pragmatiker kommen

Die Atomlobby sorgt sich um ihren Nachwuchs. Doch den gibt es: Nur ist es den Jungen egal, ob sie im Akw oder im Windpark arbeiten

Horst May spricht von Überalterung, zumindest in der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), die den sicheren Betrieb der deutschen Atomkraftwerke überwacht. Aber die Gefahr, dass die Anlagen in den kommenden 20 Jahren, die sie noch betrieben werden, von Rentnern bedient werden müssen, sieht Christian Wilson, Sprecher des Deutschen Atomforums, denn doch nicht. Allerdings hatte der Lobbyverband der Atomindustrie noch bei der Jahrestagung Kerntechnik vor ein paar Wochen in Berlin ein ganzes Forum dazu veranstaltet, weil es der Branche dramatisch an Nachwuchs fehlt.

Schon seit einem Jahr bietet das Atomforum Informationsveranstaltungen für Studenten der Physik, Chemie oder Verfahrenstechnik an, um für die Karrierechancen in der Branche zu werben. Die meisten, berichtet Wilson, suchen den direkten Kontakt zu den Firmen. Viele Praktika würden gleich dort verabredet. Doch die Forschungseinrichtungen tun sich schwer damit, junge Leute für die wissenschaftliche Arbeit zu gewinnen. „Kein Wunder“, meint einer aus der Praxis, „die Siede- und Druckwasserreaktoren sind einfach ausgeforscht“. Das sieht Peter Fritz vom Forschungszentrum Karlsruhe (früher Kernforschungszentrum) naturgemäß anders. Schließlich müsse es auch noch Sicherheits- und Endlagerforschung geben, argumentiert er. Außerdem brauchen auch die staatlichen Aufsichtsbehörden Fachleute, die Störfälle in Atomkraftwerken einschätzen können. Doch seit 1998 hat es niemanden mehr gegeben, der eine deutsche Universität als Kerntechniker verlassen hätte, beklagt Fritz.

Hans-Josef Zimmer, Chef des Atomkraftwerks Philippsburg, sieht die Lage weniger dramatisch. Der Altersdurchschnitt seiner 700 Mitarbeiter liegt bei 43 Jahren. „Bis heute haben wir keine Probleme, gutes Personal zu finden“, sagt Zimmer. Und das, obwohl er den neuen Mitarbeitern nicht mehr anbieten kann, dass sie auch in seinem Betrieb in Rente gehen werden. Schließlich läuft die Technologie hierzulande aus. Doch die jungen Leute seien „Pragmatiker“, die kein Problem damit hätten, aus einem Atomkraftwerk zu einem Windpark zu wechseln, hat Zimmer beobachtet. Die alt gewordenen Mitarbeiter haben die Auseinandersetzung um die Atomkraft durchgestanden, haben sich voll mit der Technik identifiziert. Doch nun findet in Philippsburg der Generationswechsel statt.

Die erste Generation, die zehn bis 15 Jahre am Kraftwerk gebaut hat und dann von Siemens zum damaligen Badenwerk (heute Energie Baden-Württemberg) gewechselt ist, geht nun in den Ruhestand. Viele wechseln in die Altersteilzeit oder einen Frühruhestand, der in Philippsburg schon mit 54 Jahren angetreten werden kann. „Wir müssen aufpassen, dass uns nicht zu viel Know-how abfließt“, sagt Zimmer. Schließlich hätten sich die Ingenieure über Jahrzehnte Fachwissen angeeignet, „das sie an einer Hochschule nie gelernt hätten“. Deshalb findet in seinem Kraftwerk eine dreijährige Einarbeitungszeit statt, in der die altgedienten Mitarbeiter ihr Wissen an die jungen weitergeben sollen.

Noch wichtiger findet Zimmer allerdings, dass die Mitarbeiter nie vergessen, dass sie in einem hochsensiblen Betrieb arbeiten. Der eigentliche Feind sei die Routine, meint Zimmer. Dass Philippsburg zehn Monate, nachdem er die Leitung des Werks übernommen hatte, wochenlang wegen Sicherheitsmängeln in den Schlagzeilen war, „hat die Belegschaft enorm aufgerüttelt“, sagt Zimmer.

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