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Politik: Die Radikal-Demokratin

Nancy Pelosi steht als erste Frau einer der beiden großen US-Parteien im Repräsentantenhaus vor. Sie ist für Homo-Ehe und Abtreibung – und gegen den Irakkrieg

Dort, wo sie wohnt, ist manches anders als im Rest Amerikas. Es gibt Freaks und Hippies, die Menschen ernähren sich gesund, legen Tarot-Karten, trennen ihren Müll, sind gegen Kriege und für die Natur. In ihrem Wahlbezirk in San Francisco hat Al Gore vor zwei Jahren 77 Prozent der Stimmen bekommen, der Kandidat der Grünen, Ralph Nader, immerhin acht Prozent. Kein Zweifel, Nancy Pelosi, die neue Chefin der Demokraten im Repräsentantenhaus, kommt aus einer ziemlich linken Ecke. Ihr haftet ein Schlagwort an – „San Francisco Democrat“ –, bei dem vieles mitschwingt, was Konservative verachten.

Am Donnerstag wurde die 62-jährige Abgeordnete aus Kalifornien von ihrer Partei zur Nachfolgerin von Richard Gephardt bestimmt. Der war nach dem Debakel der Demokraten bei den Kongresswahlen als Minderheitenführer zurückgetreten. Nancy Pelosi ist jetzt die erste Frau in der amerikanischen Geschichte, die im Kongress an der Spitze einer der beiden großen Parteien steht. Die Demokraten wagen einen Neuanfang. Das müssen sie auch, denn der Zustand der Opposition ist erbärmlich. Ohne Profil, ohne Programm, ohne nationale Symbolfigur pendelt sie zwischen Fundamentalkritik und Anbiederei hin und her. Der Richtungsstreit zwischen Linken und Zentristen wird öffentlich ausgetragen. Die Quittung folgte prompt. Mit dem Verlust ihrer Mehrheit im Senat haben die Demokraten vor zehn Tagen den letzten Rest an Macht verloren.

Mit Nancy Pelosi soll die Talfahrt gestoppt, der Trend möglichst sogar umgekehrt werden. Dass sich die resolute Frau bestens zum Ziel konservativer Attacken eignet, wird in Kauf genommen. Pelosi hat gegen die Steuersenkung der Bush-Administration gestimmt und gegen die Irak-Entschließung des Kongresses, die den Präsidenten zum Kriegführen ermächtigt, sie setzt sich für den Umweltschutz, die Homosexuellen-Ehe, das Recht auf Abtreibung und die kostenlose Spritzenabgabe an Drogenkranke ein. Kaum eine Christopher-Street-Day-Parade lässt sie aus. In ihrem Wahlkreis macht sie das populär. Doch außerhalb liberaler Kreise wird solchen Ansichten leicht das Prädikat „radikal“ angehängt.

An Pelosi allerdings prallt der konservative Vorwurf der moralischen Dekadenz ab. Sie hat eine streng katholische Mädchenschule besucht, früh geheiratet und in sechs Jahren fünf Kinder bekommen. Ihr Ehemann ist ein wohlhabender Geschäftsmann, der sie nach Kräften unterstützt. Die Kinder, mittlerweile erwachsen, erinnern sich gerne daran, wie die Politik stets auch das Private beherrschte. Zu Hause mussten sie Briefe an Parteimitglieder versenden, dafür durften sie bei Spendenveranstaltungen mit Barbra Streisand, Kirk Douglas oder Linda Ronstadt den Kaffee servieren.

Wie weit nach links werden die Demokraten mit Pelosi rücken? Die Antwort derer, die sie kennen, überrascht: nicht weit. Pelosi sei Politikerin, keine Ideologin. Die Ansichten, die sie in ihrem Wahlkreis verfechten muss, um gewählt zu werden, sind keinesfalls deckungsgleich mit denen, die sie in Washington, im Namen der gesamten Partei, vertreten wird. Auf deutsche Verhältnisse übertragen: Pelosi ist Lafontaine und Schröder in einer Person. Als Mahnung ist ihr ein Satz von Adlai Stevenson im Ohr, ein Demokrat, der sich in den fünfziger Jahren Hoffnung auf die Präsidentschaft gemacht hatte. Als dem ein Anhänger zurief, „Sie werden von allen klugen Menschen in diesem Land unterstützt“, antwortete Stevenson: „Kann schon sein, aber ich brauche eine Mehrheit.“

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