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Politik: „Die Randalierer wollen zeigen: Wir existieren“ Cohn-Bendit über die Motive der Jugendlichen

Brennende Autos, Jugendliche auf den Straßen – diese Bilder kennt man in Deutschland vom 1. Mai in Berlin.

Brennende Autos, Jugendliche auf den Straßen – diese Bilder kennt man in Deutschland vom 1. Mai in Berlin. Was unterscheidet die Krawalle bei Paris von denen in Berlin?

Der 1. Mai in Berlin ist ein programmiertes, organisiertes Stelldichein zwischen Autonomen und der Polizei. Was aber in Paris derzeit passiert, sind spontane Reaktionen auf ein Ereignis. Das zeigt, dass diese Vororte ein Pulverfass darstellen. Kreuzberg ist da im Vergleich ein wunderbar integriertes Stadtviertel. Anders ist es bei Jugendlichen in diesen Vororten. Wenn sie nach Paris kommen, dann sehen sie dort den Reichtum – und sind davon ausgeschlossen. Irgendwann schlägt das in Wut um.

Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy, der gleichzeitig Vorsitzender der bürgerlichen Regierungspartei UMP ist, hat die gewalttätigen Jugendlichen als „Abschaum“ bezeichnet.

Was heißt hier ’Abschaum’? Ich will gar nicht sagen, dass diese Gewalttäter gute Menschen sind. Aber bei ihnen drückt sich einfach eine ganz tief sitzende Wut und eine Lust aus, der Gesellschaft zu zeigen: Wir existieren. Dass diese Form des Ausdrucks hoffnungslos und gar nicht schön ist, will ich gar nicht bezweifeln. Es geht aber nicht, einen Teil der Gesellschaft als Abschaum zu bezeichnen. Da muss man schon mit mehr Selbstkritik herangehen. Sarkozys Strategie, allein auf die Härte des Staates zu setzen, ist erfolglos. Wenn der Staat nur Härte zeigt, ist er einfach nur Ausdruck der Ausgrenzung.

Sarkozy hat aber gleichzeitig ein kommunales Wahlrecht für Ausländer vorgeschlagen, die seit mehr als zehn Jahren im Land leben.

Richtig. Das Problem ist nur: Solange ein solches Wahlrecht nicht in die Tat umgesetzt wird, hat es keine Auswirkungen. Derartige politische Diskussionen erreichen doch die jungen Menschen in den französischen Vororten überhaupt nicht. Was aber Wirkung zeigt, ist die permanente Anwesenheit der Polizei und die Arroganz der Einsatzkräfte. Es rächt sich jetzt, dass die französische Polizei zwar Einwanderer in ihren Reihen hat – aber nicht genügend.

Seit die Bürgerlichen 2002 an die Macht kamen, setzen sie auf eine starke Sichtbarkeit der Gendarmerie, um der Bevölkerung ein Sicherheitsgefühl zu geben. Ein Fehler?

Ich sage nicht, dass die Polizei nicht anwesend sein soll. Das wollen ja auch die meisten Bewohner der Stadtviertel – auch die Einwanderer. Man darf die Augen vor dem Bandenwesen nicht verschließen. Sinnvoll ist es auch, wenn die Städte jetzt Mediatoren einsetzen, die Konflikte entschärfen sollen. Nur: Solche Versuche gehen am Kern des Problems vorbei, wenn es keine echten Angebote an die Jugendlichen gibt, sich in die Gesellschaft durch Arbeit zu integrieren.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

Daniel Cohn-Bendit ist Fraktionschef der Grünen im Europaparlament. Er wuchs in Paris auf und wurde 1989 erster Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main.

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