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Politik: „Die Reform richtet sich gegen die Kranken“

Ärztepräsident Hoppe ist gegen mehr Eigenbeteiligung, aber nicht gegen eingefrorene Arbeitgeberbeiträge

Mit ihren Protesten sind die Ärzte ziemlich auf die Nase gefallen. Glauben Sie, die Reihen beim außerordentlichen Ärztetag in Berlin an diesem Dienstag wieder schließen zu können?

Bei dem Ärztetag geht es uns darum, Politik und Öffentlichkeit mit unseren Forderungen zu konfrontieren. Seit mindestens zehn Jahren kompensieren wir mit unbezahlten Überstunden und unterwertigen Vergütungen die Mängel im Gesundheitswesen. Das wird nicht erkannt und nicht genug gewürdigt.

Die Mehrheit der Ärzte ist gegen den Dienst nach Vorschrift, den ihnen die Funktionäre empfohlen haben. Haben Sie nicht genug Überzeugungsarbeit geleistet?

Dass manche da nicht mittun wollen, spricht auch für sie: Sie lassen ihre Patienten nicht im Stich. Wir haben die Öffentlichkeit dennoch darauf aufmerksam gemacht, dass etwas nicht stimmt. Das reicht uns schon.

Sie haben gesagt: „Ich möchte nicht krank werden im Jahr 2003.“ War das eine Drohung?

In diesem Jahr sind die Turbulenzen besonders groß. Und die Motivation der in der Medizin Tätigen, vor allem der Ärzte, ist so runtergegangen, dass ich aufrütteln und sagen wollte: Wir müssen etwas tun, damit die Kollegen bei der Stange bleiben. Denn die fliehen geradezu aus der Patientenversorgung. 50 Prozent der heutigen Medizinstudenten haben sich bereits entschlossen, nicht in den patientenbezogenen Arztberuf zu gehen.

Sind die Ärzte nur Neinsager?

Ganz im Gegenteil. Wir werden zustimmen, wenn die hausärztliche Versorgung verbessert wird. Wir wollen die FacharztVersorgung in der Breite erhalten, möchten aber dass man hochspezialisierte Tätigkeiten zu den Kliniken hin organisiert. Wir möchten auch mehr Transparenz. Patientenquittungen haben ja vielleicht eine gewisse Verhaltensänderung bei den Versicherten zur Folge. Außerdem müssen die unsäglichen Verschiebebahnhöfe endlich abgeschafft werden. Der Staat darf mit dem Geld der gesetzlichen Krankenversicherung nicht andere Dinge, wie die Familienpolitik, subventionieren. Und wir wollen, dass überlegt wird, ob die Kopplung der Beiträge an die Löhne die einzige Finanzierungsform sein muss. Es ist ein Problem, dass allein der Faktor Arbeit das Gesundheitswesen finanziert.

Eine stärkere Kostenbeteiligung der Patienten fordern Sie nicht?

Nein. Wir sind dafür, dass das Sachleistungssystem erhalten bleibt und dass das wirklich Notwendige solidarisch finanziert wird. Natürlich gibt es Dinge, die in die Eigenverantwortung gehören. Wir möchten aber keinesfalls, dass der Patient löhnen muss, bevor er zum Arzt gehen darf.

Die Union sieht das anders. Und die Kassenärztliche Vereinigung ist, wie sie sagt, zu 95 Prozent mit deren Programm zufrieden.

Dass dort mehr drin steht, womit wir einverstanden sind, als in Schmidts Eckpunkten, ergibt sich daraus, dass wir wohl die Union mit einigen unserer wesentlichen Forderungen mehr überzeugt haben als die SPD.

Hat die Union bei Ihnen abgeschrieben?

Manches ist in der Zielsetzung tatsächlich identisch. Darüber sind wir nicht traurig. Aber bei einer Sache haben wir Bedenken: Wir möchten nicht, dass sich ein Kranker aus finanziellen Gründen scheut, zum Arzt zu gehen. Und dann Krankheiten verschleppt.

Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, Kopfpauschalen pro Versicherten einzuführen?

Welche Form der Finanzierung gewählt wird, ist Sache der Politik. Uns geht es darum, dass ausreichend Mittel zur Deckung des Versorgungsbedarfs bereitgestellt werden. Ich empfehle aber einen Blick in die Schweiz. Die dortigen Erfahrungen mit Kopfpauschalen sind nicht gerade ermutigend. Der Staat muss zunehmend mehr Mittel aus Steuern generieren, um einen sozialen Ausgleich herzustellen. Da ist mir unsere Umlagefinanzierung ehrlich gesagt lieber.

Sind Sie auch dafür, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren?

Ich halte den Vorschlag für durchaus überlegenswert, dann wird uns wenigstens das Thema Lohnnebenkosten nicht mehr so beschäftigen. Man sollte aber auch sehen, dass für Dreiviertel der Arbeitskosten die Tarifpartner selbst verantwortlich sind. Das wird in der Diskussion allzu häufig übersehen.

Warum sind Sie eigentlich gegen das geplante Zentrum für Qualität in der Medizin?

Wir sehen darin einen Wechsel in die Staatsmedizin. Das Institut soll ja auch Leitlinien entwickeln. Das heißt, dort und nicht mehr in den Gremien der Selbstverwaltung soll bestimmt werden, was in unserer Medizin passiert. Die Konflikte, die sich daraus dann ergeben, sind aus dem Blickwinkel dieser Institution, die irgendwo zwischen den Wolken schwebt, überhaupt nicht erkennbar.

Aber die Patienten erhoffen sich von dort auch etwas, was es in unserem Gesundheitssystem bislang kaum gibt: unabhängige Beratung.

Ein solches Institut ist doch auch nicht unabhängig. Ich finde, bisher hat das glänzend funktioniert zwischen Hausarzt, Facharzt und Patient. Da wird ein Popanz aufgebaut.

Was halten Sie denn von den vielen Gremien, die sich inzwischen den Kopf über eine Gesundheitsreform zerbrechen: Sachverständigenrat, Rürup-Kommission, Herzog-Kommission?

Das ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Wenn ich mehr zu sagen hätte, hätte ich der Ministerin geraten, die Arbeit am Runden Tischnicht so hektisch durchzuziehen. Dort hätte man im Konsens viel mehr erreichen können als mit all den externen Beratern, die nur eine sehr röhrenförmige Sicht der Dinge haben. Und vom komplexen Gesundheitssystem höchstens 20 Prozent verstehen.

Der Runde Tisch war dafür berüchtigt, dass sich die Beteiligten blockierten und keine echten Reformvorschläge zu Stande brachten.

Natürlich wäre das dort nicht über Nacht gegangen, sondern Schritt für Schritt. Etwas anderes ist aber sowieso nicht möglich. Diese ganzen Reformentwürfe werden, wenn überhaupt, ja auch nur schrittweise verwirklicht. Und wenn Sie die Eckpunkte studieren, werden Sie feststellen: Es handelt sich um eine Reform, die sich gegen die Kranken richtet.

Dann müssten ja nicht die Ärzte protestieren...

Doch. Weil wir alles ausbaden müssen. Wenn die Patienten merken, dass sie schlechter betreut werden, dass sie nicht mehr das gewünschte Rezept bekommen, dass sie in einem Zustand, in dem sie sich noch nicht selber helfen können, aus dem Krankenhaus entlassen werden – das alles wird passieren – dann laden sie ihren Unmut bei uns ab. Obwohl wir nichts dafür können.

Wie werden Ihre Proteste aussehen?

Wenn unser Einspruch nichts nutzt, werden intensivste Info-Kampagnen starten. Und im Zweifel auch dadurch, dass wir die Bürokratie einfach mal weglassen, die Abläufe lahmlegen. Damit machen wir klar, dass wir eine gute Patientenversorgung wollen und nicht in Papier und Computersalat ersticken.

Das Gespräch führte Rainer Woratschka.

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