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Politik: „Die Reformen reichen mit Sicherheit nicht aus“

Pater Hans Langendörfer hält die gegenwärtige Politik der Umverteilung für falsch – sie übergehe Familien, sagt er

Pater Langendörfer, der Bundeskanzler hat das am Mittwoch im Kabinett beschlossene Gesetzespaket als eine der „größten Veränderungen in der Sozialgeschichte der Bundesrepublik“ bezeichnet. Sehen Sie das auch so?

Das Kabinett hat in der Tat einen umfangreichen Katalog von Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Im Laufe der parlamentarischen Beratungen wird er sicher noch viele Veränderungen erleben. Zweierlei kann aber jetzt schon gesagt werden. Erstens: Wir brauchen Reformen – unserer sozialen Sicherungssysteme, unseres Steuersystems, unseres Arbeitsmarkts. Zweitens: Die vorgelegten Reformen reichen mit Sicherheit nicht aus, um den drängenden Herausforderungen zu begegnen: der strukturellen Arbeitslosigkeit, der Erosion alter Solidaritätsformen, beispielsweise der Familie, und dem demografischen Wandel. Im Interesse der Zukunftssicherung werden wir nicht um weitere Reformen herum kommen, auch wenn das für uns alle schmerzhaft wird.

Also ist es auch zu verantworten, dass die Unterstützung für Langzeitarbeitslose auf den Sozialhilfesatz heruntergefahren wird?

Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung – ursprünglich ja gedacht als Überbrückungshilfe – können die Arbeitslosigkeit heute zum Teil mehr verfestigen, als dass sie einen Weg aus der Arbeitslosigkeit bahnen. Dagegen muss die Arbeitsmarktpolitik fördernde und fordernde Anreize setzen. Es muss darum gehen, Eigenverantwortung ernst zu nehmen und Eigeninitiative zu wecken. Aber arbeitsmarktpolitische Elemente allein werden nur sehr begrenzt zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Noch wichtiger sind politische Rahmenbedingungen, die wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Nur, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, können aus den vielen Arbeit Suchenden auch Arbeit Findende werden. Arbeitsplätze zu schaffen, wäre die beste Sozialpolitik.

Künftig sollen Langzeitarbeitslose jeden Job, der ihnen angeboten wird, annehmen müssen. Ist das nicht eine Zumutung?

Einige behaupten, anstelle der Arbeitslosigkeit würden die Arbeitslosen bekämpft. Das sehe ich nicht so. Dennoch wird der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nur dann erfolgreich sein, wenn die eingeleiteten Maßnahmen auch einiges abverlangen und deshalb möglicherweise als Zumutung empfunden werden. Aus Sicht der Arbeit Suchenden zählt dazu sicher die Pflicht, niedriger bezahlte oder vom Wohnort weiter entfernte Arbeit anzunehmen. Doch darf nicht allein den Arbeitslosen etwas zugemutet werden. Vielleicht müssen auch die Arbeitsplatzbesitzer mehr bereit sein, Zumutungen anzunehmen. Also Maßnahmen mitzutragen, die auch ihnen etwas abverlangen, wenn diese zu mehr Beschäftigung beitragen. Sollte es hier nicht auch erlaubt sein, etwa über geringere Tariferhöhungen und neue Regeln des Kündigungsschutzes nachzudenken?

Die Reform der Sozialhilfe sieht vor, dass künftig weniger Unterstützung für ältere Kinder vom Staat zur Verfügung gestellt wird. Erhöht das – trotz der geplanten Freibeträge – nicht das Armutsrisiko für Kinder?

Die Frage nach dem Armutsrisiko für Kinder verweist auf ein viel grundsätzlicheres Problem: auf das „Armutsrisiko Kind“. Etwa eine Million Kinder leben heute in Familien, die von Sozialhilfe abhängig sind. Das sind oft kinderreiche Familien, die häufig Sozialhilfe brauchen. Notwendig ist es daher, die Familien in den Mittelpunkt der Politik zu rücken. Mit Freibeträgen für allein Erziehende ist es nicht getan.

Die vorgesehenen Sozialreformen gehen zu Lasten der Familien, fürchtet zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband. Sie sehen offenbar auch diese Gefahr?

Die Bedrohungen für die Familie gehen nicht in erster Linie von den vorgesehenen Reformen aus. Hier geht es um ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft. Der Sozialstaat trägt heute teilweise selbst dazu bei, dass die Grundlagen gesellschaftlicher Solidarität ausgezehrt werden. Insbesondere wird die Bereitschaft zur Solidarität in der Familie durch heutige Formen der Umverteilung eher geschwächt als gestärkt. Doch es bleibt dabei: Ehe und Familie haben für die Entfaltung des Einzelnen und für die Zukunft unserer Gesellschaft grundlegende Bedeutung. Die Familie ist die wichtigste soziale Gemeinschaft. Familienpolitik muss zu einer Querschnittsaufgabe aller Politik werden.

Wie beurteilen Sie die Reformen bei Arbeitslosen und Sozialhilfe im Ganzen? Wo muss dringend nachgebessert oder gar gegengesteuert werden?

Das Bundeskabinett hat ja ein Gesamtpaket aus arbeitsmarkt-, sozial- und steuerpolitischen Maßnahmen beschlossen. Doch bisher ist es noch keiner Reform gelungen, zum Kern unserer Probleme vorzudringen. Wir müssen uns endlich dem demografischen Problem stellen. Durch die immer geringere Kinderzahl stehen in Zukunft immer weniger Beitragszahler immer mehr Empfängern von Sozialleistungen gegenüber. Wir müssen zu einer neuen, gerechten Lastenverteilung zwischen den Generationen kommen, und zwischen denen mit und denen ohne Kinder. Nur ein Beispiel: Die Gegenfinanzierung der auf 2004 vorgezogenen Steuerreformstufe. Zum allergrößten Teil soll dies über Schulden finanziert werden. Das geht zu Lasten der nachfolgenden Generationen. Wir dürfen unser Wohlstandsniveau nicht dadurch sichern, dass wir die Kosten in die Zukunft verschieben. Das wäre Generationsegoismus statt Solidarität zwischen den Generationen.

Das Gespräch führte Christian Böhme.

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