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Politik: Die Revolution ist gekommen

Von Markus Hesselmann

Dumpf, knüppelschwingend, rechtslastig – das Klischee vom bösen Polizisten ist zählebig. Gerhard Seyfried hat den Kreuzberger FolkloreBullen in ihren vergitterten Wannen mit seinen Comics ein Denkmal gesetzt. Seyfried schreibt inzwischen Romane statt zu zeichnen, die Wannen werden nach und nach aus dem Verkehr gezogen und vom Berliner Bullen-Klischee bleibt in diesen Tagen auch nicht mehr viel übrig.

Der 1. Mai 2005, die friedlichste Kreuzberger Mai-Feier seit langem, verstärkt einen positiven Eindruck der vergangenen Jahre: Die Polizei ist auf gutem Wege direkt in die Mitte der Gesellschaft. Von der anderen Seite entgegen kommen ihr die linksalternativen Kreuzberger Kiezbewohner. Viele von ihnen haben selbst einen langen Marsch hinter sich und hätten sich in ihren wilderen Jahren wohl nicht träumen lassen, einmal mit den uniformierten Beamten zusammenzuarbeiten. Wie die Veranstalter des friedlichen „Myfestes“ sich gestern bei ihrer Nachbetrachtung öffentlich mit der Polizei lieb hatten – sekundiert von der PDS-Bezirksbürgermeisterin –, das hatte schon etwas von Kulturrevolution.

Feiern gegen Gewalt: Die Idee, den Randalierern am 1. Mai die Straße durch ein großes Straßenfest streitig zu machen, ist so schlicht wie genial. Woran christ- wie sozialdemokratische Innensenatoren mit verschiedenen Einsatzstrategien in den vergangenen beiden Jahrzehnten scheiterten, gelang mit Hilfe bürgerlich-zivilen Engagements: die rituellen Krawalle in Kreuzberg bis zur Unkenntlichkeit einzudämmen und den Randalierern auch die letzte Illusion einer Akzeptanz im Kiez zu entziehen. Dieser wahrhaft revolutionäre 1. Mai ist zuallererst das Verdienst der Myfest-Organisatoren und ihrer gut 1200 oft jugendlichen Helfer.

Das erkennt die Polizei neidlos an. Ihre Führung begründet den Erfolg am 1. Mai weniger mit der eigenen flexiblen Strategie als mit dem Engagement der Veranstalter des Myfestes. Kein Triumphalismus der Sicherheitsprofis, sondern Lob für die genialen Dilettanten: Auch das ein Symptom für die zivilgesellschaftliche Orientierung der Polizei des Jahres 2005.

„Wir lernen jedes Jahr dazu, die Autonomen arbeiten seit Jahren mit der gleichen Taktik“, der lakonische Spruch eines leitenden Polizeibeamten mitten im Getümmel der ebenfalls überwiegend friedlichen Walpurgisnacht in Berlin-Friedrichshain bezog sich konkret auf den erfolgreichen Einsatz. Aber er könnte auch stehen für eine Weiterentwicklung in Haltung und Habitus der Beamten. Im Hintergrund abwarten, bloß nicht provozieren, freundlich sein, Mensch bleiben – aber jederzeit in der Lage, konsequent einzugreifen.

Dieser Ansatz hat sich nicht nur am 1. Mai in Kreuzberg bewährt. Die Schriftstellerin Pieke Biermann beschreibt in ihren Kriminalreportagen für den Tagesspiegel allmonatlich diese seit einiger Zeit auch im Berliner Polizei-Alltag zu beobachtende Tendenz.

Das Prinzip Myfest hat sich derweil von Berlin-Kreuzberg bis Berlin-Mitte, ins Regierungsviertel, herumgesprochen: Als eine Art Myfest des Bundes soll der „Tag für die Demokratie“ am 8. Mai sowohl den Aufmarsch von Rechtsextremen als auch gewalttätigen linksradikalen Protest rund um das Holocaust-Mahnmal verhindern.

Hoffentlich geht das dann auch wieder gut.

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