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Politik: Die richtige Baustelle

DEUTSCHE KONJUNKTUR

Von Ursula Weidenfeld

Es ist ungerecht, keine Frage: Da strengen sich der Kanzler und sein ganzes Kabinett an wie verrückt, damit die deutsche Konjunktur endlich vom Fleck kommt. Und dann attestiert der Internationale Währungsfonds der deutschen Politik, dass sie leider gerade auf der falschen Baustelle schuftet. Deutschland hat in diesem Jahr kein Wirtschaftswachstum. Mit seiner Trägheit bremst es das Wachstum in Europa. Nicht, weil in unserem Land der weltwirtschaftliche Aufschwung später ankommen würde als woanders – sondern, weil der Aufschwung hier schwächer ausfallen wird.

Dagegen helfen keine Konjunkturprogramme und auch keine milliardenschweren Staatsinvestitionen, wie sie gerade von den beiden SuperWirtschaftsregierungschefs Schröder und Chirac vorgeschlagen wurden – dagegen helfen nur Strukturreformen. Das wissen auch die beiden Staatsmänner. Dennoch scheinen sie sich im Augenblick lieber mit aktiver Konjunkturpolitik und dem wolkigen Begründen einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik zu beschäftigen. Weil sie sich auf diesem Feld der Zustimmung wenigstens aus den eigenen Reihen sicher sein können.

Die Meinungsumfragen sagen dem Bundeskanzler, dass er auf der anderen Baustelle, den Strukturreformen, Schwerstarbeit vor sich hat. Die SPD ist in der Zustimmung der Wähler unter dreißig Prozent gefallen. Seitdem sie sich an die politische Umsetzung der Agenda 2010 gemacht hat, ist die Ablehnung von Woche zu Woche gewachsen. Das Volk will die geplanten Reformen nicht. Und schon gar nicht will es noch mehr davon.

Das mag auch daran liegen, dass in Deutschland selbst kaum jemand sieht, wie ernst die Lage wirklich ist: Es braucht wahrscheinlich noch zwanzig Jahre, bis der Wohlstand komplett aufgegessen ist, der in den fünfzig Jahren zuvor erwirtschaftet worden war. Länder wie England und Schweden haben vorgemacht, dass man eine ganze Weile damit zubringen kann, den eigenen Reichtum aufzuknuspern. Aber diese Länder haben auch gezeigt, wie tief die Einschnitte anschließend sein müssen, um wieder nach vorn zu kommen. Selbst das zutiefst sozialdemokratische Schweden hat sich in den achtziger und neunziger Jahren für Reformen entschieden, die weit über das hinausgehen, was in Deutschland jetzt geplant ist.

So schlimm sei es gar nicht bei uns, beruhigen wir uns selbst. Schließlich müssen wir noch die deutsche Einheit bezahlen, und außerdem jammern wir ja immer noch auf hohem Niveau. Das stimmt. Nur ist es mit der deutschen Einheit so wie mit Unternehmen, die nach einer Fusion in schwieriges Fahrwasser geraten: Die müssen alles daran setzen, dass sie wieder profitabel werden. Sie müssen sich im Wettbewerb mit der Konkurrenz behaupten – auch wenn die keine Fusion zu verdauen hat.

Das verheerende Urteil des Währungsfonds, die Rekordzahl an Insolvenzen, die das Statistische Bundesamt gestern meldete, die milliardenschweren Steuerausfälle, die das Finanzministerium zugeben musste: All das sind nur Signale dafür, dass der Bundeskanzler schleunigst auf die richtige Baustelle zurückkehren muss. Und da darf er sich nicht damit begnügen, die angefangenen Arbeiten zu Ende zu bringen. Er muss noch mehr tun. Denn das, was die Bundesregierung an Arbeitsmarkt, Gesundheits-, Steuer- und Rentenreformen, an Vorschlägen für Subventionsabbau und Entwürfen für die Sanierung der Gemeindefinanzen bisher zusammengebracht hat, das ist nur der Anfang. Einer, der möglicherweise gut ist, um die akuten Probleme des Landes zu lindern. Deutschlands Position im Wettbewerb um Investitionen, um Kapital, um Wissen und kluge Köpfe aber verbessern diese Anfänge noch nicht.

„Ein Volk, das seiner Gegenwart und Zukunft gewiss sein will, hat keine andere Wahl, als seine Leistungskraft zu steigern und sich dessen bewusst zu sein, dass es die richtige Entsprechung zwischen Verbrauchen und Sparen, aber auch zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu finden und zu wahren hat. Andere Verlockungen sind billig und leichtfertig: Sie kommen der Neigung zur Bequemlichkeit entgegen und wirken sich umso fluchwürdiger aus.“ Das hat Ludwig Erhard gesagt. Vor fünfzig Jahren. Er hat Recht. Immer noch.

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