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Politik: Die Rolle des Fraktionschefs lässt sich auch anders ausfüllen, als Peter Struck es tut (Kommentar)

Manchmal ist so ein Fraktionsvorsitzender ein ziemlich armer Hund. Dann sind alle mit ihm unzufrieden, alle meckern herum, und ein paar ganz besonders Schlaue erzählen ihm wieder einmal, dass er seinen Job ganz und gar falsch anpacke.

Von Robert Birnbaum

Manchmal ist so ein Fraktionsvorsitzender ein ziemlich armer Hund. Dann sind alle mit ihm unzufrieden, alle meckern herum, und ein paar ganz besonders Schlaue erzählen ihm wieder einmal, dass er seinen Job ganz und gar falsch anpacke. Dass - nur um ein Beispiel zu nehmen - seine Aufgabe nicht darin bestehe, provokative Ideen in die Medienwelt zu setzen.

Sondern... ja, was eigentlich sind die Aufgaben eines Fraktionsvorsitzenden? Theoretisch ist alles ganz einfach. Der Fraktionschef einer Oppositionspartei soll den Kampf gegen die Regierung an vorderster Front führen: als stürmischer Debattenredner, als trickreicher Kenner der Geschäftsordnung, als konzeptioneller Kopf. Der Fraktionschef einer Regierungspartei soll die Fraktion zusammen- und dadurch der Regierung den Rücken freihalten, damit die ungestört von allen Querelen in den eigenen Reihen regieren kann.

So viel zur Theorie. Tatsächlich ist die Rolle des Fraktionschefs einer Regierungspartei sehr viel komplizierter. Wahrscheinlich ist sie die komplizierteste Aufgabe überhaupt. Denn der Fraktionschef sitzt von Amts wegen zwischen allen Stühlen. Der Kanzler erwartet von ihm, dass er die Mehrheit sichert. Die Abgeordneten hingegen erwarten von ihm, dass er ihre Interessen vertritt - häufig sehr widerstreitende Interessen, die sich nicht selten deutlich von denen der Regierung unterscheiden. In diesem Spannungsfeld muss er die Balance halten.

Die Doppelrolle bietet dem Fraktionschef freilich auch eine große Chance. Er kann zu einem, wenn nicht dem starken Mann emporwachsen. Denn er gehört zu den ganz wenigen Spitzenpolitikern einer Regierungspartei, denen ein beträchtliches Maß an Eigenwillen und Unabhängigkeit gegenüber dem Regierungskurs nicht ohne weiteres als Unbotmäßigkeit ausgelegt werden kann. Im Gegenteil: Das gehört geradezu zu seinem Job, will er in den Augen der Abgeordneten nicht nur als Büttel von Kabinett und Kanzleramt dastehen. Es ist ja kein Zufall, dass gerade jene Fraktionsvorsitzenden als starke Politiker im Gedächtnis geblieben sind, die die Chance genutzt haben, ihre Position zur eigenständigen Machtbasis neben, bisweilen sogar gegen den Regierungschef auszubauen: Herbert Wehner zum Beispiel oder Wolfgang Schäuble.

Schäuble stellt in dieser Beziehung wahrscheinlich den Extremfall dar. Bis zum letzten Tag der Ära Kohl dem Kanzler gegenüber loyal und doch zugleich sein schärfster Rivale, als Person und als Programm. Paradox genug: Gerade deshalb hat er es immer wieder geschafft, die Fraktion hinter einem Regierungskurs zu vereinen, mit dem er keineswegs immer einverstanden war - die Disziplin, die er sich selbst auferlegt hatte, übertrug sich auf die Abgeordneten. Umgekehrt erwuchs ihm daraus, dass er die Fraktion im Griff hatte, die Autorität, einen eigenen politischen Kurs zu entwickeln.

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