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Politik: Die Rosewood-Akten ermöglichen weitere Aufklärung der Spionage

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und die Berliner Gauck-Behörde sind davon überzeugt, dass die Aufarbeitung der Westspionage der Stasi aus juristischer Sicht im Wesentlichen beendet ist. Die "Enttarnung" der beiden "Bild"-Journalisten als Stasimitarbeiter vor zwei Tagen biete keinen Anlass, jetzt eine Welle von ähnlich gelagerten Fällen zu erwarten.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und die Berliner Gauck-Behörde sind davon überzeugt, dass die Aufarbeitung der Westspionage der Stasi aus juristischer Sicht im Wesentlichen beendet ist. Die "Enttarnung" der beiden "Bild"-Journalisten als Stasimitarbeiter vor zwei Tagen biete keinen Anlass, jetzt eine Welle von ähnlich gelagerten Fällen zu erwarten. Auch von den so genannten Rosewood-Unterlagen, die der US-Geheimdienst CIA der Gauck-Behörde übergeben wird, verspricht sich der Direktor der Gauck-Behörde, Peter Busse, keine großen Erkenntnisgewinne über die Arbeit von Erich Mielkes Leuten auf westdeutschem Boden. Wohl aber hegt die Behörde die offenbar gut begründete Hoffnung, dass weitere Agenten und Spitzel in der DDR, die die Auslandsarbeit koordiniert hatten, auffliegen werden. "Der Zugewinn an Informationen wird weniger die Westdeutschen betreffen als viel mehr darin liegen, diejenigen zu enttarnen, die im umfangreichen Inlandsnetz der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) nachrichtendienstlich arbeiteten. Das hat einen Bezugspunkt zu unsere sonstigen Arbeit, da die Auslandsaktivitäten der HVA eng verknüpft waren mit der internen Repression."

Der Direktor der Gauckbehörde rechnet fest damit, dass die Rosewood-Papiere näheren Aufschluss insbesondere auch über jene Stasimitarbeiter geben werden, die die Bespitzelung der DDR-Dissidenten nach ihrer Auswanderung in die Bundesrepublik betrieben und ausgewertet haben. Busse rechnet konkret mit besonderen Erkenntnissen über die HVA-Kollaborateure, die beispielsweise Jürgen Fuchs, Wolf Biermann und Roland Jahn "bearbeitet" haben.

Auch sei zu erwarten, so Busse, dass durch die Erkenntnisse aus den Rosewood-Akten "der eine oder andere" wichtige Personenkreis sich doch noch für seine Spitzeltätigkeit zu verantworten haben werde. Die Behörde erwartet die Entschlüsselung weiterer Decknamen jener, "auch in herausragender Stellung", die mit der HVA innerhalb der DDR zusammengearbeitet hätten und die bislang nur aus den Akten der Betroffenen bekannt waren, bald aber schon eindeutig entschlüsselt werden könnten.

Gauck-Behörde wie Bundesanwaltschaft weisen Mutmaßungen zurück, der Westen habe wegen politischer Verstrickung oder politischer Rücksichtnahme kein besonders großes Interesse an der Aufklärung der Westspionage der Stasi. "Wir haben seit Bestehen der Behörde nicht die Erfahrung politischer Einflussnahme machen müssen. Unsererseits gab es auch keine vorauseilende Selbstdisziplinierung. Der Bundesbeauftragte, Joachim Gauck, hat vielmehr die intensive Bearbeitung der Westarbeit der Stasi betrieben, da er nicht der Meinung war, Stasi-Aktivitäten seien ein regionales politisches Problem," so Busse zum Tagesspiegel.

In den Jahren der Stasi-Spionage im Westen, spätestens seit 1952, waren nach Experten-Hochrechnungen zwischen 20 000 und 30 000 Personen eingespannt. Da der Runde Tisch der DDR es in einem denkwürdigen Beschluss der HVA selbst überließ sich aufzulösen, sind die meisten diesbezüglichen Unterlagen und Akten verschwunden, beziehungsweise zerstört. Die Bundesanwaltschaft und die Landesstaatsanwaltschaften führten in den Jahren seit der Wiedervereinigung 2928 Verfahren gegen Bürger der Bundesrepublik und 4171 gegen DDR-Bürger. Der weitaus größte Teil der Verfahren wurde wegen nicht nachweisbarer Schuld oder Geringfügigkeit - zum Teil gegen hohe Geldbußen - eingestellt. Von letztlich 388 angeklagten Bundesbürgern wurden 252 und von 82 angeklagten DDR-Bürger wurden 23 wegen Spionage oder Landesverrat verurteilt. Nicht verjährt ist bis heute nur noch Landesverrat.

Bundesanwaltschaft und Gauck-Behörde sehen keinen Anlass für die Vermutung, die Kollaboration mit der Stasi im Westen sei eine Art schwarzer Fleck, eine Tabuzone bei der Aufarbeitung der ostdeutschen Spionage. Da die Strafverfolgungsbehörden gegenüber Bundesbürgern, anders als bei DDR-Bürgern, die Möglichkeit eines strafrechtlichen Zugriffs hätten, sei dieser Bereich der Stasi-Aktivitäten wesentlich genauer und systematischer recherchiert und gegebenenfalls auch penibler geahndet worden, heißt es dazu in Berlin und Karlsruhe.

Gleichwohl hatte die Stasi im Laufe der Jahre ein beeindruckend enggeknüpftes Netz über die Bundesrepublik gezogen und flächendeckend die Telefonate über Richtfunk, die über DDR-Territorium führten, beispielsweise zwischen Bonn und Berlin, abgehört und oft Wort für Wort dokumentiert. Die bei solchen Aktionen angefallenen Informationen - auch bei Telefonaten zwischen hohen Politikern und Wirtschaftsleuten - vor allem sind es, die dem Westen Kopfzerbrechen bereitet haben, einerseits aus datenrechtlichen Gründen, anderseits aus Gründen des Persönlichkeitsrechtes.

Rüdiger Scheidges

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