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Politik: "Die Rückkehr zu einer Welt mit zwei großen Blöcken ist möglich"

Der Politologe Gabriel Kolko (67) gehört zu den führenden amerikanischen Forschern seines Faches.Lange lehrte er als Professor für Geschichte an der York University in Toronto.

Der Politologe Gabriel Kolko (67) gehört zu den führenden amerikanischen Forschern seines Faches.Lange lehrte er als Professor für Geschichte an der York University in Toronto.Soeben erschien sein Buch "Das Jahrhundert der Kriege" beim S.Fischer Verlag.Mit Kolko sprach Christian Böhme.

TAGESSPIEGEL: Herr Kolko, war der Krieg im Kosovo unvermeidlich?

KOLKO: Bei der Entscheidung der Amerikaner, den Krieg zu führen, spielte die spezielle Situation im Kosovo nur eine untergeordnete Rolle.Für die USA geht es darum, militärische Macht zu demonstrieren und ihre Vormachtstellung in der Nato auszubauen.Hinzu kommt, daß Clinton keine Handlungs-Alternativen hat.Ein Groß-Kosovo in der Hand der Befreiungsarmee UCK wäre der Beginn einer Reihe neuer Probleme.

TAGESSPIEGEL: Die Innenpolitik in den Vereinigten Staaten spielt keine Rolle?

KOLKO: Doch.Clinton muß sich vor allem mit den Republikanern im Kongreß arrangieren.Die Kampf um die Macht in Washington wird die Politik gegenüber Jugowlawien erheblich beeinflussen.Rationale Erwägungen bleiben da auf der Strecke.

TAGESSPIEGEL: Wenn es um die Ursachen für die Balkan-Konflikte geht, werden der Erste Weltkrieg und seine Folgen genannt.Nahm das Drama 1914 seinen Anfang?

KOLKO: Nein, schon viel früher.Die Kämpfe zwischen Clanfürsten und der Nationalismus, das sind Dinge, die schon im 19.Jahrhundert der Region zu schaffen machten.Die amerikanische Art der Konfliktlösung kann hier nicht zum Tragen kommen.Vor kurzem hat Clinton noch erklärt, es gehe auf dem Balkan nicht um neue Grenzen, sondern um eine weitergehende Integration in Europa.Der Präsident träumt.Es wird Jahrhunderte dauern, bis die Menschen so denken.

TAGESSPIEGEL: Kriege beschleunigen meist gesellschaftliche Entwicklungen.Welche Folgen erwarten Sie für Serbien und das Kosovo?

KOLKO: Veränderungen wird es auf jeden Fall geben.Aber sehr fraglich ist, ob es positive sein werden.Ich befürchte, daß es mehr Unruhen, ethnische Säuberungen und Kriege geben wird.Eine vernünftige politische Lösung ist nicht in Sicht.

TAGESSPIEGEL: Es gibt also auf absehbare Zeit keine Chance für die Demokratie?

KOLKO: In der näheren Zukunft sehe ich dafür keine Chance.

TAGESSPIEGEL: Ihr Kollege Goldhagen hat vorgeschlagen, Serbien zu besetzen und das Volk einer Reeducation à la Deutschland nach 1945 zu unterziehen.

KOLKO: Das ist Unsinn.Aber ob es nun Demokratie in Serbien geben wird oder nicht, das ist nicht das wirkliche Problem.Es geht darum, was aus Europa und der Welt wird.Für die USA stellt sich die Frage, wo man eingreift wie im Kosovo und wo nicht.Wenn die Nato, also eine Handvoll Staaten, beschließt, irgendwo zu intervenieren ohne jemanden zu fragen, dann kann Rußland nicht tatenlos zusehen.Moskau wird sich bemühen, eine eigene Allianz zu schaffen, etwa mit China und Indien.Das wäre die Rückkehr zu einer aus zwei Blöcken bestehenden politischen Welt.Insofern kann der Krieg im Kosovo wirklich zu einer Tragödie werden.

CHRISTIAN BÖHME

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