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Politik: Die Sache mit dem Steckturm

Warschau will über die Stimmengewichtung diskutieren – die meisten anderen Regierungen sehen aber keinen Gesprächsbedarf

Berlin - Das Kind hat einen Namen. „Reformvertrag“ soll künftig der neue EU-Vertrag heißen, über den sich Europapolitiker und EU-Experten seit mehr als sechs Jahren den Kopf zerbrechen. So steht es zumindest in dem elfseitigen Papier, das die Unterhändler von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstagabend in Brüssel an ihre Kollegen aus den übrigen 26 EU-Staaten verteilten. Das Papier ist eine Art Drehbuch für den Brüsseler Gipfel, der an diesem Donnerstag beginnt. Wann er zu Ende sein wird, ist ziemlich unklar. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sprach schon von einem „three-shirt-summit“ (Drei-Hemden-Gipfel), sprich: Das Treffen der Staats- und Regierungschefs, das eigentlich für zwei Tage angesetzt ist, könnte länger dauern.

Ob es dann am Ende – vielleicht in der Nacht von Freitag auf Samstag – zu einer Einigung kommt, wird vor allem davon abhängen, ob die 27 Staaten in der Frage der Stimmengewichtung einen Konsens finden. Wie die Stimmen der EU-Staaten bei Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat gewichtet werden sollen, steht im EU-Verfassungsvertrag (siehe auch oberer Kasten). Aus Kreisen der deutschen Ratspräsidentschaft hieß es am Mittwoch, dass 25 der 27 Mitglieder die Lösung aus der in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten EU-Verfassung in den geplanten „Reformvertrag“ übernehmen möchten. Dagegen wollen sich Polen und Tschechien auf dem Gipfel dafür stark machen, dass das Thema der Stimmengewichtung später noch einmal in einer Regierungskonferenz eingehend behandelt wird. Die anderen Staaten lehnen dies ab – aus Angst, dass damit im EU-internen Machtpoker die gesamte „Büchse der Pandora“ noch einmal aufgemacht wird. „Das Ganze ist wie ein Steckturm. Da kann man nicht ein Teil ändern, ohne dass sich ein anderes Teil ändert“, hieß es am Mittwoch in Regierungskreisen.

Dabei sperrt sich der deutsche Vorsitz nicht dagegen, dass Polens Präsident Lech Kaczynski das Fass mit der Aufschrift „Stimmengewichtung“ beim Gipfel aufmacht und ihm der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek dabei möglicherweise sekundiert. Nur gilt es für die Kanzlerin als ausgeschlossen, dass das Problem der Stimmengewichtung auch in eine anschließend geplante Regierungskonferenz hinübergeschleppt wird. Bis Ende des Jahres soll diese Regierungskonferenz nach den Vorstellungen des deutschen EU-Vorsitzes abgeschlossen sein – andernfalls ließe sich der Zeitplan, den neuen EU-Reformvertrag bis zu den Europawahlen im Jahr 2009 zu ratifizieren, kaum halten.

Bereits in der „Berliner Erklärung“ hatten sich die 27 EU-Staaten beim EU-Jubiläumsgipfel im vergangenen März dazu verpflichtet, die Europäische Union bis zu den nächsten Europawahlen auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen, also einen neuen Vertragstext unter Dach und Fach zu bringen. Die Verpflichtung aus der „Berliner Erklärung“ werde unter den EU-Mitgliedern „ernst genommen“, hieß es am Mittwoch aus dem Umfeld der Kanzlerin. Trotzdem wurde ein Scheitern des Brüsseler Gipfels nicht ausgeschlossen. Zwar gebe es eine „stark ansteigende Kurve der Verhandlungsbereitschaft“ unter den EU-Mitgliedern. Für den Fall, dass die Bundeskanzlerin am Ende des Gipfels ohne eine Einigung dastehen sollte, hieß es am Mittwoch vorsorglich aber auch schon in den Regierungskreisen: „Dann geht die Welt auch nicht unter.“

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