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Politik: Die Schweizerin Clara del Ponte tritt heute ihr Amt als Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals an

"Im Auftrag der Völkergemeinschaft habe ich für Gerechtigkeit zu sorgen." Carla del Pontes Vorstellung von ihrer neuen Aufgabe ist eindeutig.

"Im Auftrag der Völkergemeinschaft habe ich für Gerechtigkeit zu sorgen." Carla del Pontes Vorstellung von ihrer neuen Aufgabe ist eindeutig. Heute nimmt die streitbare Ex-Bundesanwältin der Schweiz ihre Arbeit als Chefanklägerin des Uno-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda auf.

In Den Haag wartet ein Berg von Arbeit auf die 52-Jährige. Dreißig mutmaßliche Kriegsverbrecher sitzen in den Niederlanden hinter Gittern. Ebenfalls 30 Angeklagte konnten noch nicht dingfest gemacht werden. Ermittlungen gegen eine unbekannte Zahl weiterer Personen laufen. Die Verfahren schleppen sich hin, die rund siebenhundert Experten, die für das Tribunal arbeiten, sind hoffnungslos überlastet. Und der heikelsten Herausforderung muss sich die Behörde noch stellen: Die Verfahren gegen die serbischen Kriegsverbrecher im Kosovo.

An deren Spitze rangiert der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic. "Unsere Aufgabe ist es, Milosevic vor das Tribunal zu bringen, und ich betrachte dies nicht als unrealistisches Ziel", gab sich Del Ponte in einem Interview zuversichtlich. Die Prozessflut zu bewältigen, dürfte ihrer Meinung nach bis zu sechs Jahre dauern. Mit der Anklage gegen den Belgrader Diktator Milosevic hatte Del Pontes Vorgängerin, die Kanadierin Louise Arbour, das Strafgericht schlagartig ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit zurückgeholt. Arbour, die laut Del Ponte eine "ausgezeichnete Vorarbeit geleistet hat", verließ ihren Posten vorzeitig. Experten vermuten, dass die USA Druck ausgeübt hatten. Eine erstarkende internationale Strafjustiz, so die Argumentation, könnte die US-Amerikaner auf die Anklagebank zitieren. Menschenrechtsverletzungen gibt es in den USA schließlich zuhauf.

Del Pontes Nominierung wurde im August von Washington vehement unterstützt, weil die Nordamerikaner die Schweizerin nicht so hoch einschätzten wie Arbour. Bei den Eidgenossen geriet die zum forschen Auftritt neigende Del Ponte während ihrer mehr als fünfjährigen Amtszeit mehrmals in die Schusslinien. Sie habe "aus Mücken Elefanten gemacht, aus Presseleuten Verdächtige und aus Hausdurchsuchungen gutes Dorftheater", wie die Zürcher Weltwoche bissig kommentierte. Nahezu die ganze Medienbranche delektiert sich seit geraumer Zeit an der langen Liste von Flops und Schlappen der Tessinerin, die erst nach Absagen anderer Kandidaten den Job als Bundesanwältin erhielt.

Vorher hatte sich Del Ponte als Staatsanwältin ihres Heimatkantons auf die Jagd von Mafiosi spezialisiert. Schon damals irritierten ihre robusten Verhöre die gemäßigten Schweizer Juristen: "Kronenberg, Sie sind korrupt! Sie haben Nyffenegger bestochen. Was sie bis jetzt gesagt haben, war gelogen." Mit diesem Donnerwetter habe die Bundesanwältin den Angeklagten Hans Kronenberg 16 Stunden nach seiner Verhaftung empfangen. Kronenberg steht zur Zeit im Prozess gegen den Ex-Obersten der Schweizer Armee, Nyffenegger, vor Gericht. Beobachter werten die von Del Ponte unterzeichnete Anklageschrift gegen Nyffenegger "als besonders nebulös".

Und ein weiterer Vorwurf richtet sich an die Adresse der Juristin: Sie schere sich wenig um ihre Kompetenzen, nur um sich spektakuläre Fälle nicht durch die Lappen gehen zu lassen. Jüngstes Beispiel: die Bestechungsaffäre um Russlands Präsident Boris Jelzin und der Skandal um die Tessiner Baufirma Mabetex.

Jan-Dirk Herbermann

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