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Politik: Die Selbsthilfegruppe

Vor 15 Jahren entstand aus der SED die PDS

Von Matthias Meisner

Berlin - Es war der letzte Parteitag der SED – und der erste der PDS. Zwei Wochenenden lang hatten 2714 Delegierte in der Dynamo-Sporthalle in der Ho-Chi- Minh-Straße im Berliner Bezirk Weißensee getagt, Gregor Gysi zum Vorsitzenden gewählt, den „unwiderruflichen“ Bruch mit dem Stalinismus verkündet. Und sie entschieden, dass es zwar einen Neuanfang geben, aber doch irgendwie mit der bis dahin staatstragenden Partei weitergehen sollte: Die SED wurde in SED/PDS umbenannt, wenige Wochen später fiel das alte Kürzel ganz.

Die Genossen, die im Dezember 1989 dabei waren, erinnern sich an die explosive Atmosphäre. Führungslos war die Partei, ohne Zentralkomitee und Politbüro, auf die langjährige Zusammenarbeit mit den Blockparteien war kein Verlass mehr. Hans Modrow, damals DDR-Ministerpräsident und heute PDS-Ehrenvorsitzender, weiß noch, warum sie nicht aufgeben wollten: „Wir machen weiter, weil wir Knete haben“, das sei eines der Argumente gewesen. Ein anderes: Die Auflösung der Partei würde die Krise der DDR verschärfen. Wenn ihm als Regierungschef keine Partei zur Seite stehe, so argumentierte Modrow im Dezember 1989, „dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht“. Die SED-Führung, so erinnert er sich heute, habe sich „todmüde und erschöpft“ der Basis gefügt.

Der zumindest der Basis als integer erscheinende Jurist Gysi kam da gerade recht: Zeitzeugen erinnern sich an seinen nahezu inquisitorischen Eifer, mit dem er dem Ausmaß von Machtmissbrauch und Korruption in der DDR auf die Spur kommen wollte. Binnen weniger Monate waren rund eine halbe Million SED-Mitgliedsbücher zurückgegeben worden. Vielen, die dabeiblieben, stärkte der redegewandte Anwalt den Rücken: „Die kritische und aufmüpfig gewordene SED-Parteibasis war ebenso Bestandteil der demokratischen Volksbewegung“, meinte er. Michail Gorbatschow hatte aus Moskau ein Grußtelegramm geschickt und die SED ermuntert, die Auseinandersetzungen in der DDR als „reinigendes Gewitter“ zu betrachten. Die Partei habe „guten Grund, Vorhut der Republik zu sein“.

Lange war sie das nicht mehr – und hat doch alle Krisen überlebt. 2002, nach ihrem Scheitern bei der Bundestagswahl, schien ihr Aus wieder nahe zu sein. Als Parteichef Lothar Bisky jetzt auf das 15-jährige Jubiläum zu sprechen kam, nannte er 2004 nach mehreren Wahlerfolgen das „erfolgreichste Jahr der PDS“. Er bezweifelt nicht, dass die Parteigeschichte wechselvoll bleiben wird. Sein langjähriger Wahlkampfchef André Brie mahnte zum Jubiläum, 1989 sei es womöglich legitim gewesen, als „Selbsthilfegruppe“ zu wirken. „Aber eine politische und gar eine nachhaltige Funktion einer politischen Partei kann darauf natürlich nicht aufgebaut werden.“

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