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Politik: Die Sensation ist, dass es keine gibt (Leitartikel)

Das war kein schlechter Tag für Volker Rühe. Mit dem Wahlergebnis, das er gestern in Schleswig-Holstein erzielte, kann er zwar nicht Ministerpräsident in Kiel werden.

Das war kein schlechter Tag für Volker Rühe. Mit dem Wahlergebnis, das er gestern in Schleswig-Holstein erzielte, kann er zwar nicht Ministerpräsident in Kiel werden. Alles andere wäre auch einem Wunder gleich gekommen. Ab es reicht, um als Kandidat für das Amt des Vorsitzenden der Bundespartei im Gespräch zu bleiben, und das ist das für Rühes politische Zukunft entscheidende Resultat. Die Woge des Unmuts über die schwarzen Kassen der Union hat ihn nicht hinweg gespült, sondern nur gestreift. Noch vor einem halben Jahr schien der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin ein Debakel bevor zu stehen. Heide Simonis als Opfer der rot-grünen Pleiten-, Pech- und Pannen-Regierung in Berlin, das sah noch im November vergangenen Jahres wie eine ausgemachte Sache aus. Zehn Prozent Vorsprung gaben damals die Demoskopen der CDU vor der SPD. Es ist anders gekommen. Rot-Grün kann in Kiel, insgesamt gestärkt, weiter regieren. Der kleine Koalitionspartner verlor zwar Stimmen, aber der Große gewann hinzu, wenn auch längst nicht in dem Maße, von dem Frau Simonis geträumt hatte.

Was auf Bundesebene vermasselt wird, schlägt auf die Länder durch. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch eine solche Berg-und-Tag-Fahrt der Wählergefühle wie in den letzten Wochen hat es noch nicht gegeben. Im gleichen Zeittakt, in dem Schröder das Regieren zu lernen begann, taten sich bei der CDU immer neue skandalöse Praktiken im Umgang mit dem Geld auf. Dass diese Situation nun nicht zur Krise der Demokratie wurde, hat die Bundesrepublik den Wählern zwischen Nord- und Ostsee zu verdanken. Sie zogen sich nicht angewidert hinter die Kachelöfen zurück, sondern gingen wählen. Das ist auch die Umkehr eines seit fast 20 Jahren zu beobachtenden Trends deutlich zurück gehender Wahlbeteiligungen. Da spielte oft eine Rolle, dass die Parteien nicht mehr unterscheidbar zu sein schienen, die Stimmabgabe somit also geradezu folgenlos - und deshalb überflüssig wirkte. Nun aber, in der Stunde, in der die Basis der Republik ins Schwanken zu geraten drohte, stabiliserten die Bürger durch eine hohe Wahlbeteiligung die Fundamente wieder. Das war eine gute Stunde für die Demokratie in Deutschland!

Der Ausgang der Wahl hat keine Auswirkung auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, das stand von vorne herein fest. Aber natürlich hat das Ergebnis Auswirkungen auf die Befindlichkeiten der Parteien. Da ist zum einen die SPD. Heide Simonis hat in den letzten vier Jahren keine besonderen Akzente setzen können. Ökonomisch profitierte Schleswig-Holstein vom Wegfall der Grenzen nach Osten und den dadurch ausgelösten konjunkturellen Impulsen. Vor allem half ihr jetzt das Image der "ehrlichen Haut". Ihr Sieg ist für die Bundes-SPD besonders wichtig, weil er das Ende der dramatischen Talfahrt signalisiert.

In der CDU sind Angela Merkels Chancen, als Nachfolgerin von Wolfgang Schäuble zur Parteivorsitzenden gewählt zu werden, geschwächt. Die Nominierung streitig machen kann ihr nun nach wie vor Volker Rühe und natürlich Jürgen Rüttgers, wenn er die nordrhein-westfälischen Landtagswahlen besteht. In der FDP ist der Streit um die grundsätzliche Umorientierung von der CDU zur SPD noch einmal vertagt. Wolfgang Kubicki hatte sich auf eine Koalition mit der CDU unter einem Ministerpräsidenten Volker Rühe festgelegt. Eine sozial-liberale Koalition, über die Otto Graf Lambsdorff gerade laut nachdachte, stand also nicht zur Debatte. Alles andere ist bis zum 14. Mai vertagt. Dann wählt Nordrhein-Westfalen.

Gerd Appenzeller

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