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Schicksalswahl nennt Gesundheitsminister Bahr (links) die Neuwahl – er ist weniger brachialoptimistisch als sein Parteivorsitzender Rösler.

© picture alliance / dpa

Politik: Die Sinngebung des Sinnlosen

Die Auflösung des Landtags, die sie in ein Desaster führen kann, hat die FDP in Nordrhein-Westfalen selbst verursacht. Doch die FDP-Spitze versucht, die Herausforderung als Glücksfall der Geschichte zu verkaufen.

Von Hans Monath

Wenn es denn einen Orden für Standhaftigkeit in politisch nahezu aussichtsloser Lage gäbe, müsste er in diesen Tagen an die Bundesspitze der FDP gehen. Seitdem die liberale Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen Anfang der Woche trotz miserabler eigener Umfragewerte ungewollt Neuwahlen erzwang, überbieten sich führende Liberale in Berlin darin, das Versehen der Düsseldorfer Parteifreunde in einen politischen Glücksmoment umzudeuten. „Warum tun Sie sich das an?“, fragte Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga am Mittwochabend den FDP-Vorsitzenden. Seiner Partei biete sich eine „Riesenchance“, antwortete Philipp Rösler. Die Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig- Holstein und in NRW würden „ihren Beitrag zur Renaissance der FDP leisten“.

Die öffentlich zur Schau getragene Zuversicht der Führung steht in scharfem Kontrast zur tatsächlichen Stimmung in der Partei. Von „Fassungslosigkeit“ ist dort die Rede und davon, dass die Liberalen auf die so überraschend aufgetauchte NRW-Wahl starren wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange. Laut jüngsten Umfragen wollen im größten Bundesland nur zwei Prozent der Wähler für die FDP votieren. Viele Liberale hatten ohnehin unter den Spitzenkandidaten nur dem Kieler, Wolfgang Kubicki, zugetraut, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Nun aber herrscht die Befürchtung vor, dass auch Wahlkämpfer Kubicki in Schleswig-Holstein vom absehbaren NRW-Negativtrend erfasst wird und scheitert.

Die Entschiedenheit zur Sinngebung des Sinnlosen in der Parteispitze erzwingt auch eine Umdeutung der Abläufe, die in Düsseldorf die Neuwahl unausweichlich machten. Intern schütteln in der Bundes-FDP viele den Kopf darüber, dass die NRW-Parteifreunde die parlamentarischen Spielregeln nicht beherrschten. Tatsächlich überraschte sie, dass ein Scheitern des Landeshaushalts in zweiter Lesung dessen Ende bedeutete und keinen Spielraum für die erwünschten Verhandlungen mit Rot-Grün mehr ließ. In der offiziellen Bewertung aber gibt es nur absichtsvolles Handeln. Rösler und andere Liberale preisen die angebliche Konsequenz, mit der die FDP für solide Haushalte eintritt.

Weil sie nach den üblichen Regeln politischen Verhaltens nur Erfolge in allen drei Landtagswahlen voraussagen dürfen, verbietet sich für die Parteispitze auch jede Spekulation über das Ende des schwarz-gelben Bündnisses im Bund als Folge dreier Wahlniederlagen. Intern aber werden schon alle möglichen Szenarien durchgespielt. Nach drei Desastern in Folge werde auch eine Ablösung des dann völlig glücklosen Parteichefs der FDP keine Restzeit in der Regierung mehr sichern, weil Kanzlerin Angela Merkel (CDU)von sich aus die Koalition beenden und Neuwahlen ausrufen werde, vermuten manche Liberale. Offiziell sind solche Überlegungen natürlich kein Thema. Entschieden wies Generalsekretär Patrick Döring im ARD-Morgenmagazin Berichte zurück, wonach ein Scheitern der NRW-FDP an der Fünf-Prozent-Hürde den Sturz Röslers erzwingen werde.

Aus der Union wird unterdessen versichert, es gebe ein „strategisches Grundinteresse“, die Liberalen als politische Kraft im Bund und den Ländern und damit auch als Partner für bürgerliche Koalitionen zu erhalten. Doch in ihrer bedrängten Lage geben sich viele FDP-Vertreter gar nicht mehr Mühe, die Motive des Regierungspartners zu erforschen. Deshalb kommt diese Botschaft nicht mehr an. Viele Liberale fühlten sich von der Union in jüngster Zeit systematisch in die Ecke gedrängt und mutmaßen, der große Partner arbeite zielstrebig auf eine Koalition mit den Sozialdemokraten hin. Als Belege für die Abwendung der CDU/CSU vom Koalitionspartner werden etwa die Offenheit wichtiger Unionspolitiker für höhere Spitzensteuersätze, die Zusammenarbeit von Union und SPD beim NPD-Verbot, der Druck der Union auf die FDP bei der Vorratsdatenspeicherung und die Sympathien der Kanzlerin für die von der FDP strikt abgelehnte Frauenquote genannt.

Noch schließen Parteistrategen aus, dass die FDP im Bund nach Düsseldorfer Beispiel eine Sachentscheidung zur Schicksalsfrage umdeutet, eigene Überzeugungen für unverhandelbar erklärt und damit einen Bruch der Koalition betreibt. „Es ist nicht die Generalstrategie, in Schönheit zu sterben“, heißt es in FDP- Kreisen. Umgekehrt gebe es für die Liberalen aber auch keinen Anlass, wegen der NRW-Herausforderung dem Druck der rot-grünen Opposition vor der Abstimmung über den Fiskalpakt nachzugeben und den Widerstand gegen eine Finanztransaktionssteuer aufzugeben.

Ein wichtiger FDP-Politiker verweigerte sich am Donnerstag ganz offen dem Brachialoptimismus Röslers, der die Zukunft der FDP mit freundlichem Lächeln als völlig rosig beschreibt. NRW-Landeschef Daniel Bahr erklärte die Entscheidung in dem Bundesland ausdrücklich zur „Schicksalswahl“ für alle Liberalen. Die Botschaft des Gesundheitsministers lautete nicht „Alles wird gut!“, sondern: Wer die FDP in NRW abstraft, muss künftig in einem politischen System ohne Liberale leben. Womöglich kommt Bahr damit der Wahrheit näher als sein Bundesvorsitzender. Offen ist aber noch, ob so viel Ehrlichkeit auch Wirkung zeigt.

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