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Politik: Die späte Erleuchtung

STROMAUSFALL IN USA

Von Ursula Weidenfeld

Es gibt wohl kaum etwas, was eine Volkswirtschaft schlimmer trifft als ein totaler Ausfall der Energieversorgung. Aufzüge, Bahnen, Computer, Server, Telefone, Klimaanlagen – selbst normale Ladenkassen, Radios und Fernsehgeräte stellen von einer Sekunde zur anderen den Betrieb ein. Da ist es schon erstaunlich, wie gelassen die USA und Kanada den gewaltigen Stromausfall verkraftet haben. Ein Grund dafür: Die Amerikaner sind an Stromschwankungen und lokale Ausfälle gewöhnt. Experten sagen, die USA seien, energietechnisch gesehen, nicht besser als ein DritteWelt-Land. Und das gelte für viele Bereiche, in denen der Staat in den vergangenen Jahrzehnten privatisiert habe.

Tatsache ist, dass der Stromverbrauch in den USA rapide gestiegen ist – auch, weil Energie dort sehr billig ist und energiefressende Klimaanlagen ein unerlässlicher Begleiter sind. Vor allem aber, weil die Wirtschaft und die Bevölkerung im vergangenen Jahrzehnt rasch gewachsen sind – das bedeutet auch, dass der Energieverbrauch zunimmt. Dazu kommt, dass der Energieverbrauch der privaten Haushalte mit der Verbreitung von Computern zusätzlich gewachsen ist.

So etwas kann ein Energienetz verkraften, das ständig modernisiert wird. Nur ist genau das in den USA nicht passiert. In das Stromnetz wurde in den vergangenen Jahren mit durchschnittlich 800 Millionen Dollar pro Jahr ähnlich viel investiert wie in England – obwohl das US-Netz fünfzehnmal so groß ist. Das reicht nicht einmal, um das bestehende Netz zu erhalten, geschweige denn, die Kapazität zu erweitern. Schlimmer noch: Die regionalen Stromversorger machen keine Anstalten, die Regionen belastbar miteinander zu verbinden. Solange die Netze nämlich nur durch wenige Leitungen verbunden sind, sind ineffiziente Kraftwerke vor Wettbewerb geschützt.

Die Nachteile eines solchen Systems, in dem die Gewinne privatisiert, die Verluste aber auf die Allgemeinheit abgewälzt werden können, bekam Kalifornien in den Boomjahren 2000 und 2001 zu spüren: Als die eigenen Kraftwerke nicht mehr ausreichend arbeiteten, konnte nicht genügend Strom aus anderen Regionen in das Netz eingespeist werden. Tageweise wurde die Stromversorgung unterbrochen.

Ganz Amerika war sich gestern einig darüber, dass es hier grobe Versäumnisse gegeben hat. Ganz Amerika zerbrach sich aber auch den Kopf darüber, wer jetzt verantwortlich ist. Denn wem das Netz gehört, wer also hätte investieren müssen, liegt im Dunklen. Die Stromunternehmen behaupten, dass dies Sache der Regulierungsbehörden sei, die sich nicht einig sind. Im Gewirr von Zuständigkeiten zwischen den Washingtoner Zentralbehörden und den regionalen Aufsehern sei vergessen worden, dass man über das Netz nicht nur reden darf, sondern dass man es auch erhalten muss. Deshalb weiß niemand so recht, wer jetzt für die Schäden bezahlen muss.

In den Ländern Europas dagegen haben die Europäische Kommission und die nationalen Regulierer dafür gesorgt, dass die Netze geöffnet wurden – gegen den erbitterten Widerstand der Versorger. Hier haben die Konzerne nach wie vor ein Interesse an Investitionen ins Netz – weil sie damit Geschäfte machen können. Denn die europäischen Versorger knöpfen ihren Konkurrenten saftige Durchleitungsgebühren ab, wenn sie deren Strom einspeisen. Für den Verbraucher aber heißt das, dass der Strom in Deutschland zwar ziemlich sicher konstant fließt – aber eben auch ziemlich sicher teuer bleibt.

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