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Politik: Die SPD, das unbekannte Wesen

Die Sozialdemokraten in NRW sind aufgeschreckt: Laut Umfragen kennt niemand mehr ihr Spitzenpersonal / Kritik an Steinbrück

Peer Steinbrück ist das erste Opfer der neuen Strategie. Seine Sätze zum Urlaubsverzicht für die Altersvorsorge werden nicht nur vom politischen Gegner aufgespießt. Auch die Genossen in seiner nordrhein-westfälischen Heimat giften den Bundesfinanzminister an. „Völlig daneben“, heißt es im größten SPD-Landesverband, und die Antwort kommt flächendeckend in diesem Stil. Hannelore Kraft, die Fraktionschefin im Landtag, hat ihn eigens angerufen, um ihm mitzuteilen, dass sie anderer Meinung ist. Über das Gespräch selbst gibt sie keine Auskunft, aber Steinbrücks Vorstoß beurteilt sie eindeutig: „So provokativ bringt uns das nicht weiter, es gibt genügend Menschen, die schon heute nicht mehr in den Urlaub fahren können, weil sie kein Geld haben.“

Vor wenigen Wochen hätten die Genossinnen und Genossen an der Ruhr solche Eskapaden aus ihrer Berliner Ministerriege schweigend erduldet. Als die aus Sicht der Partei völlig verkorkste Gesundheitsreform in Berlin gefeiert wurde, kam auch aus der NRW-SPD Lob: Der Landesvorsitzende Jochen Dieckmann stimmte in den Jubelchor ein und sprach von einem großen Schritt. Inzwischen hat sich die Lage verändert. Mitten in der Sommerpause hat eine Umfrage die Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland aufgeschreckt. Forsa-Chef Güllner hat ihnen einen schwer verdaulichen demoskopischen Befund auf den Tisch geknallt: Demnach kennt niemand mehr im Lande das Spitzenpersonal der SPD. Besonders irritiert hat die Parteifreunde die Botschaft, dass unter den Arbeitern keine zehn Prozent auch nur einen einzigen Namen eines SPD-Landespolitikers nennen konnten.

Seither wird konferiert und telefoniert. Weil niemand den Befund wirklich bestreiten kann, sucht man nach Wegen aus dem politischen Loch. Die Botschaft von der SPD als dem unbekannten Wesen hat alle aufgeschreckt. Die demoskopischen Ergebnisse korrespondierten im Übrigen mit einem Papier, das Axel Horstmann, der frühere Verkehrsminister, vorher geschrieben hatte. Seine Analyse war treffend: „Die einzige Stärke der schwarz-gelben Koalition ist die schwache Zustimmung für die Opposition.“ Die eigene Truppe bekommt keine guten Noten. „Nicht regierungsfähig und konzeptlos“, schreibt Horstmann. An seiner Person offenbart sich allerdings das Dilemma der Genossen im Heimatland von Johannes Rau: Der heutige Kritiker Horstmann war Teil des alten, abgewählten Systems.

Um damit auch nach außen sichtbar zu brechen, hat Franz Müntefering den jüngeren Freunden an der Ruhr jetzt den Rat gegeben, einen „Andenpakt“ zu schließen. Wie die heutigen CDU-Größen Christian Wulff, Roland Koch und Peter Müller sollen sich die 40-Jährigen auf eine gemeinsame Marschroute auf dem Weg zurück in die Mehrheitsfähigkeit des Landes verständigen. Diese Truppe müsste sowohl die Programmdiskussion vorantreiben, sich aber auch über die interne Hackordnung verständigen, damit man nicht auch noch Reibungsverluste wegen der ungeklärten Führungsfrage erleidet.

Nach Lage der Dinge kommt Hannelore Kraft die entscheidende Rolle in dieser Aufstellung zu. Sie startet als Fraktionschefin aus der ersten Reihe, wenn es um die Frage der Spitzenkandidatur geht – ausgemacht ist die Sache aber noch längst nicht, auch nicht für sie persönlich. „Sie hat ökonomischen Sachverstand“, bekam sie in diesen Tagen unerwartetes Lob von Wolfgang Clement, der die Partei noch gleich darauf hinwies, dass sie auch künftig ökonomischen Sachverstand mit sozialer Sensibilität vereinbaren müsse. Kraft würde das ähnlich formulieren, aber mit der Befindlichkeit der Menschen beginnen. „Wir müssen den Menschen die Grundängste in der unübersichtlichen Zeit der Globalisierung nehmen und sie dabei ernst nehmen“, lautet ihre Philosophie. Dass sie sich hemmungslos vor allem gegen die eigene Partei profilieren könne, wurde ihr jetzt mehrfach geraten, doch da schüttelt sie den Kopf: „Das ist mit mir nicht zu machen.“ Stattdessen will sie gezielt ihre Stimme erheben.

Die Kritik an Steinbrück war nur der Anfang. Als Nächste dürfte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt zu spüren bekommen, dass sich die Düsseldorfer Genossin profilieren will: Sie hält weite Teile der Gesundheitsreform für dringend reformbedürftig, weil nach ihrer Ansicht nicht nur die Beitragszahler die Zeche bezahlen dürfen – und das will sie offen sagen.

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