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Fehlende Perspektive. Flüchtling aus Albanien in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt

© Patrick Pleul/dpa

Die SPD und die Flüchtlinge vom Balkan: "Verlorene EU-Perspektive wiederherstellen"

Die Zahl der Flüchtlinge vom Westbalkan steigt, anerkannt werden nur die allerwenigsten. Der SPD-Integrationspolitiker Josip Juratovic fordert im Gastbeitrag: Ursachen bekämpfen, Ventile schaffen.

Asylbewerber vom Balkan sind derzeit ein Dauerthema  der öffentlichen Debatte. Nach meiner Wahrnehmung ignorieren wir in dieser Diskussion eine entscheidende außenpolitische Facette. Die Menschen kommen, weil ihnen in der Heimat mit den stockenden EU-Beitrittsverhandlungen auch die letzte Perspektive verloren gegangen ist. Statt an der EU-Außengrenze in Ungarn Mauern zu bauen, müssen wir die Ursachen der  Flucht bekämpfen, indem wir die verlorene EU-Perspektive wiederherstellen. Der Beitrittsprozess der Länder muss endlich zum Ziel geführt; das Thessaloniki-Abkommen muss in die Praxis umgesetzt werden. Das ist mittelfristig der entscheidende Schritt, um den Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat zu geben. Das ist die beste Alternative zur Flucht. Denn sicher ist: entweder wird der Westbalkan in die EU kommen, oder die Menschen kommen zu uns!

In der Zwischenzeit müssen wir hier in Deutschland einen fairen Umgang mit den geflüchteten Menschen vom Westbalkan finden. Für mich steht fest: der Asylantrag ist nicht der richtige Weg für sie. Die Situation im Westbalkan lässt sich keineswegs mit den anderen Ländern vergleichen, aus denen viele Flüchtlinge in die EU kommen. Die einzige Ausnahme bildet aus meiner Sicht Mazedonien – das allerdings schon als sicher eingestuft ist. Angesichts der niedrigen Anerkennungsquoten haben die Menschen derzeit ohnehin keine Perspektive in unserem Land - selbst ohne Einstufung der Westbalkanländer als sicher. Und es bliebe in der Argumentation ein Widerspruch, wenn wir für den EU-Beitritt der Länder werben und gleichzeitig deren Einstufung als sicher in Frage stellen.

Die Frage ist auch: Was wäre die Alternative zur Einführung weiterer sicherer Drittstaaten? Eine darf es ganz sicher nicht sein: die Wiedereinführung von Reisevisa. Die Menschen würden sich schlagartig von Europa abwenden. Damit würde die EU-Perspektive in unerreichbare Ferne rücken. Großmächte außerhalb der EU, wie Russland und die Türkei, würden ihren Einfluss in der Region ausbauen. Gleichzeitig  würde die Wiedereinführung von Visa die Roma der Region zu Sündenböcken machen, deren Benachteiligung ausbauen und somit weitere Fluchtgründe schaffen oder Radikalisierung der Bevölkerung vor Ort ermöglichen.

Josip Juratovic ist Integrationsbeauftragter der SPD im Bundestag
Josip Juratovic ist Integrationsbeauftragter der SPD im Bundestag

© Achim Melde/Deutscher Bundestag

Die SPD-Ministerpräsidenten haben letzte Woche das Eckpunktepapier zur Flüchtlingspolitik veröffentlicht, in dem sie sich auch zur Möglichkeit weiterer sicherer Herkunftsländer bekennen. Als kurzfristige Lösung für die hohe Anzahl der Asylanträge aus der Westbalkanregion finde ich die Einstufung aller Länder aus Südosteuropa als sichere Herkunftsstaaten vertretbar. Um unser Asylsystem zu entlasten, darf dies aber nicht das alleinige Mittel sein. Die Menschen vom Westbalkan  sollen auch weiterhin die Möglichkeit haben, nach Deutschland zu kommen. Das entscheidende Element des Papiers ist daher die Schaffung legaler Möglichkeiten der Arbeitsmigration. Menschen aus Südosteuropa, die einen Arbeitsvertrag in Deutschland vorzeigen können, dürfen demnach ein Arbeitsvisum erlangen. Diese Neuerung schafft eine realistische Perspektive für legale Arbeitsmigration und damit auch ein Ventil für unser überlastetes Asylsystem. Dies wäre eine gute Lösung für Deutschland und die Menschen aus Südosteuropa!

Josip Juratovic ist Integrationsbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion und Berichterstatter für Südosteuropa im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags.

Josip Juratovic

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