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"Engagement für Flüchtlinge." - Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) spricht am 29.08.2015 in Berlin im SPD-Fraktionssaal im Bundestag zu ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern. Der SPD-Parteivorstand und die -Bundestagsfraktion empfangen hier ehrenamtliche Flüchtlingshelfer. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

© dpa

Die SPD und die Flüchtlingsfrage: Sigmar Gabriel will mehr

In der Flüchtlingsdebatte hat die SPD dank Sigmar Gabriel die Meinungsführerschaft erobert. Aber der will auch die Zweifler mitnehmen.

Von Hans Monath

War was? Nach einem Sommer des Missvergnügens ist Sigmar Gabriel wieder da. Vergessen scheint in der SPD der Unmut über seine Grexit-Vorschläge. Vom Misstrauen vieler Genossen gegen ihren Vorsitzenden ist derzeit nur wenig zu spüren. Und über die Vergeblichkeit einer SPD-Kanzlerkandidatur philosophiert auch keiner mehr. Denn dank Gabriel hat die SPD beim Megathema Flüchtlinge die Meinungsführerschaft erobert. Mit seiner Rhetorik, den Besuchen in Flüchtlingsheimen und seinen Vorschlägen zur Bewältigung der Krise wärmt er die Seele der Partei.

Sigmar Gabriel hat in der Flüchtlingsfrage die Meinungsführerschaft zurückerobert

Tatsächlich haben die Sozialdemokraten die Dimension der Herausforderung weit früher erkannt als ihr Koalitionspartner und schon vor Monaten Hilfe des Bundes für die Kommunen gefordert. Nun legen sie ein Konzept vor, das Solidarität mit den Hilfesuchenden auf der einen und eine harte Linie gegenüber Nicht-Asylberechtigten auf der anderen Seite verspricht. Merkel und ihre Union müssen sich derweil erst sortieren und zudem auf Wählermilieus Rücksicht nehmen, die Einwanderern gegenüber noch skeptischer sind als klassische SPD-Anhänger.

Hinter den vielen Solidaritätsbeweisen einer insgesamt sehr aufgeschlossenen deutschen Gesellschaft spürt Gabriel die Skepsis vieler, die sich benachteiligt fühlen angesichts der großen Hilfsbereitschaft gegenüber den Migranten. Auch die will der SPD-Chef mitnehmen gemäß der Aufforderung aus seiner Bewerbungsrede als Parteichef vor sechs Jahren. „Wir müssen raus ins Leben, dahin, wo es brodelt“, forderte er damals.

Sigmar Gabriel versucht die Gratwanderung zwischen Härte und Willkommenskultur

Gewalttäter und Pöbler grenzt der SPD-Politiker aus, wenn er sie als „Pack“ bezeichnet. Die Mitläufer und Zweifler aber will er umwerben, indem er die vielen Probleme der Integration nicht totschweigt und empfiehlt, sich die Nöte derer anzuhören, die in ihrem Urteil noch schwanken. Es ist dieser Gedanke, der ihn vor einem halben Jahr in eine Dresdner Debatte führte, an der auch Pegida- Anhänger teilnahmen. Viele Sozialdemokraten empörte das damals.

Es ist eine Gratwanderung, auf die sich Gabriel einlässt. Viele SPD-Funktionäre, allen voran Generalsekretärin Yasmin Fahimi, ergreifen jede Gelegenheit zur Abgrenzung nicht nur gegenüber Rechtsextremen, sondern auch gegenüber dem Koalitionspartner. Ihr Motto: Wir sind die Guten. Wer zuallererst seine moralische Vorbildlichkeit pflegt, fragt oft nicht nach den Folgen seiner Handlungen. Dabei muss man nicht jedes Wort von Gabriel zur Flüchtlingsfrage glauben. Zwar warnt er gern davor, das heikle Thema nicht noch durch parteipolitischen Streit aufzuheizen. Gleichzeitig aber macht er deutlich, wie weit seine SPD der politischen Konkurrenz bei der Suche nach Lösungen für die Probleme der Migration schon voraus ist. Was im Umkehrschluss natürlich bedeutet: Die Kanzlerin und ihre Unionsparteien reagieren zu träge angesichts der Größe der Herausforderung.

Alles nur Taktik? Es geht Gabriel in der Flüchtlingsfrage um Humanität und den Zusammenhalt der Gesellschaft, das sollte man ihm nicht absprechen. Dass er darüber hinaus immer auch die Macht im Blick hat, gehört zur Wahrheit dazu, ist aber kein Skandal. Denn erst bei großen Herausforderungen zeigt sich, wer die Macht verdient. Oder auch nicht.

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