zum Hauptinhalt
Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) äußert sich am 26.08.2015 bei einem Pressestatement in Berlin zur Flüchtlingssituation in Deutschland.

© dpa

Kritik der SPD an ihrem Parteichef: Sigmar Gabriel, motiviert und kampfeslustig

Viele Sozialdemokraten trauen dem eigenen Parteichef wenig zu. Stabilisiert Gabriels Einsatz für Flüchtlinge seine Stellung in der SPD?

Von Hans Monath

Diesmal kam der Vizekanzler der Kanzlerin zuvor – und die ganze Republik schaute zu. Erst zwei Tage nach Sigmar Gabriel besuchte Angela Merkel das von Ausländerfeinden belagerte Aufnahmelager in Heidenau. Früher und deutlicher als die Regierungschefin hatte der Wirtschaftsminister in der Flüchtlingsdebatte Präsenz gezeigt und Position bezogen. Viele Genossen fühlten sich bestätigt, als Gabriel gegenüber den sächsischen Fremdenfeinden und Gewalttätern harte Worte („Pack“) fand.

Auch solche SPD-Spitzenpolitiker loben nun den Vorsitzenden, die ihm oft widersprechen. „Gabriel hat in der Flüchtlingsfrage Führung gezeigt“, attestiert ihm sein Stellvertreter Ralf Stegner und fügt hinzu: „Auch hier bestimmt die SPD den Kurs der Bundesregierung.“

Tatsächlich hatten die Sozialdemokraten den zögernden Koalitionspartner seit Monaten gedrängt, auf steigende Flüchtlingszahlen zu reagieren und die Kommunen finanziell zu entlasten. Eine erste Hilfszahlung für die Städte und Gemeinden beschloss die Bundesregierung zwar noch vor der Sommerpause. Doch erst die Zahl 800 000 brachte die wichtigsten Akteure der Union zu der Einsicht, dass „business as usual“ angesichts dieser Dimensionen nicht mehr weiter hilft.

Nach dem Ende der Sommerpause scheint das Verhältnis von Parteichef und SPD weitaus besser als kurz vor Beginn der Ferien. Da hatte Gabriel im Ringen um eine neues Hilfspaket für Griechenland mit einem „Grexit“ geliebäugelt und hatte mit harten Tönen in Richtung Athen viele Genossen entsetzt. Präsidium und Vorstand zwangen ihn zur Umkehr, sein Vorschlag wurde der Presse zugespielt. Viele Parteifreunde deuteten das Ringen um Gabriels Griechenland-Kurs als Höhepunkt eines Entfremdungsprozesses, zu dessen Stationen der Dialog mit Pegida-Anhängern, das Werben für das Transatlantische Handelsabkommen (TTIP) und der Kampf für die Vorratsdatenspeicherung gehören. Im Umgang mit den heiklen Themen hatte der Parteichef so viele wichtige Mitstreiter vor den Kopf gestoßen, dass manche nun sagen, er habe kaum noch einen wirklichen Vertrauten in der eigenen Partei.

Mitten im Sommer erinnerte dann der Kieler Ministerpräsident Torsten Albig mit dem Vorschlag zum Verzicht auf eine SPD-Kanzlerkandidatur an den Umstand, dass die Umfrageergebnisse von 25 Prozent den Führungsanspruch der SPD absurd erscheinen lassen. Juso-Chefin Johanna Uekermann erhielt für ihre Forderung nach einer Urwahl der Kandidatin oder des Kandidaten sogar Unterstützung von den Parteivizes Stegner und Thorsten Schäfer-Gümbel, was Gabriel als Misstrauenserklärung empfinden musste.

Manche fühlen sich an das Ende Kurt Becks erinnert

Rund um die Sondersitzung des Bundestags zum dritten Griechenland-Hilfspaket vergangene Woche brachte die SPD es dann aber fertig, den innerparteilichen Streit eine Woche lang einzustellen. Die Folge: Medien berichteten prominent über die Uneinigkeit in der Unionsfraktion und die Erosion von Merkels Überzeugungskraft angesichts von rund 60 Nein-Sagern aus CSU und CDU im Parlament. Die Albig-Debatte, die die Umfragewerte weiter sinken ließ, empfanden auch ausgewiesene Freunde der Streitkultur in der SPD als Menetekel, das zur Mäßigung mahnte.

Nun scheint auch der Vorsitzende auf einem besseren Weg zu sein. „Gabriel hat sich relativ stabilisiert“, attestiert ihm ein Vorstandsmitglied. Doch am Leiden vieler Sozialdemokraten an der Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit des Vorsitzenden hat der gute Auftakt wenig geändert. Viele erwarten neue Konflikte. Gabriels Spielraum ist enger geworden. „Noch so ein Ding wie Griechenland, und er ist weg“, prognostiziert ein Vorstandsmitglied. Laut Umfragen ist nur die Hälfte der SPD-Mitglieder mit Gabriels Arbeit zufrieden, nur ein Drittel hält ihn für den richtigen Kanzlerkandidaten.
Manche Sozialdemokraten mit historischem Gedächtnis sehen sich angesichts der massiven innerparteilichen Kritik an Gabriel schon an das Ende der Parteichefs Rudolf Scharping oder Kurt Beck erinnert. Scharping wurde gestürzt, Beck warf hin. Doch Gabriel sei motiviert und kampfeslustig, heißt es aus der SPD.

Ein Herausforderer, der auf dem Parteitag im Dezember Anspruch auf das Amt des Vorsitzenden erheben könnte, ist so wenig in Sicht wie ein Aspirant auf die absehbar undankbare Aufgabe des Kanzlerkandidaten. „Niemand ist bereit, von sich aus aktiv zu werden“, sagt ein gut vernetzter Bundestagsabgeordneter. Gemeint sind Andrea Nahles und Olaf Scholz, die sich frühestens bei der Bundestagswahl 2021 Chancen ausrechnen, wie viele in der SPD glauben.

Die Nagelprobe auf die Durchsetzungsfähigkeit des Parteichefs dürfte im Herbst die Debatte über die künftige Ausrichtung der SPD werden. Gabriel will seine Partei in der Mitte positionieren, die Parteilinke hält dagegen und arbeitet an einem Gegenvorschlag zu dessen Strategiepapier. Mit ihrem Plan eines Linksschwenks fühlt sie sich ermutigt, seit kompromisslos linke Kandidaten wie Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Bernie Sanders in den USA in Vorwahlen überraschend viel Zustimmung erhalten.

Die Debatte über einen Kanzlerkandidaten würde der Vorsitzende hingegen gern beenden. „Es interessiert die Menschen nicht, wen die SPD in mehr als zwei Jahren aufstellt“, sagte er am Sonntag im ARD-Sommerinterview. Sie erwarteten vielmehr, „dass wir uns mit den wirklich wichtigen Fragen befassen“. Zu denen zählt der Vizekanzler die Herausforderung durch die Flüchtlinge.

Gefragt nach dem eigenen Anteil an den mageren Umfragewerten, antwortete Gabriel in dem Interview ausweichend. „Der Vorsitzende der Partei ist immer schuld“, meinte er, „egal, ob es gut läuft oder schlecht läuft“.

Zur Startseite