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Politik: Die Stadt hat mehr verdient Von Gerd Nowakowski

Klaus Wowereit hat nun, was Willy Brandt und Eberhard Diepgen fehlte. Endlich Richtlinienkompetenz.

Klaus Wowereit hat nun, was Willy Brandt und Eberhard Diepgen fehlte. Endlich Richtlinienkompetenz. Endlich kann er ein richtiger Regierungschef sein wie die in anderen Bundesländern. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat die Macht, Politik groß zu denken. Er nutzt sie nicht. Viel weiter so und wenig Mut – Zukunft wird ziemlich kleingeschrieben. Das Ja zum Wahlverlierer Linkspartei hat nach den Signalen der letzten Tage kaum noch überrascht. Eine Gestaltungskoalition aber sähe anders aus. Berlin kann mehr – das weiß auch Wowereit.

Mitregieren ist nicht alles, aber Opposition gar nichts. Mit dieser Formel hat die Führung der Linkspartei ihre internen Kritiker überzeugt. Ihre angeblichen Essentials aber sind kleine Münze. Die Gemeinschaftsschulen? Mit einer modellhaften Zusammenarbeit von Schulen ist man zufrieden. Der Einstieg in Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor? 1000 Stellen sind den Sozialisten schon genug. Das strikte Nein zum Verkauf von öffentlichen Wohnungen? Wird abgegolten mit In-sich-Geschäften unter Senatsregie. Zu viel Kleingeld.

Eine Koalition der Bescheidenen ist zu wenig für eine Stadt, die weltweit auszustrahlen begonnen hat. Nach der ordentlich angepackten Sanierung des Landeshaushalts müssten fünf Jahre der Gestaltung folgen, um neuen Arbeitsplätzen und Wohlstand ein Fundament zu geben. Dafür braucht es Kraft, Ideen und Wagemut. Einer erschöpften Linkspartei, die sich mit letzter Kraft in die Senatssessel bewegt hat, fehlt all dieses. Was die Stadt an innovativen Initiativen und bundesweit ausstrahlenden Politikkonzepten bieten könnte, spielte bei der Entscheidung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aber erkennbar früh nur eine untergeordnete Rolle.

Aber braucht die Stadt nicht eine Koalition der Einheit, um die Ost-Berliner einzubinden, von denen jeder Dritte die Linkspartei wählt? Die rot-rote Koalition hat die mentale Vereinigung der jahrzehntelang so zerrissenen Stadt vorangebracht. Das ist nicht wenig – aber es ist ein Projekt der Vergangenheit. Rot-Grün hingegen wäre nicht allein eine Koalition des alten West-Berlins. Es entspräche dem Geist der veränderten Stadt, der vor allem in den zentralen Bezirken zu spüren ist. Zu leicht wiegt da der Einwand, die Berliner Grünen wären widerborstiger und schwerer kalkulierbar als die Linkspartei. Die Grünen haben sieben Jahre lang bis zur Selbstverleugnung treu die Bundesregierung getragen; sie wissen, dass in einer Koalition nicht Selbstverwirklichung, sondern Disziplin zählt. Wem die Grünen zu unbequem sind, der hat nach einem Ablehnungsgrund gesucht. Der wollte es selbst gemütlich haben.

Das sozialdemokratische Bauchgefühl entschied für die Sozialisten. Die Chancen, die Grünen als Verbündete gegen die Beharrungskräfte der eigenen Partei zu nutzen, hat Klaus Wowereit verworfen – gegen die Stadt. Denn das Sparen hat noch längst kein Ende. Wohltaten gibt es nicht zu verteilen, sondern neue Zumutungen. Der wohl unvermeidbare Verkauf von öffentlichen Wohnungen, die mögliche Privatisierung der Berliner Verkehrsbetriebe – das wäre mit den Grünen viel eher gegangen als mit den eigenen Genossen. Auch deshalb fühlen sich die Sozialdemokraten viel wohler mit dem Partner von der Linkspartei.

Jetzt wird verhandelt. Um die Macht. Nicht für Berlin. Der kühl kalkulierende Wowereit hat alle Optionen. Er kann nicht verlieren. Die Stadt schon.

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