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Politik: Die Todesmüden

Schüsse, Schreie, Schlamperei – die US-Armee im Irak hat einen neuen Feind: die Erschöpfung. Auf Patrouille in einer Terrorhochburg

Die Kugeln trafen den Corporal in Oberschenkel und Leiste. Ein Hüne, Afroamerikaner, Südstaatenakzent und Tätowierungen am Unterarm. Ein anderer hat einen Streifschuss am Hals abbekommen, Blut quillt zwischen seinen Fingern hervor. Ein Sanitäter wischt und tupft, säubert die Wunden. Die Männer in den Tarnfarben der US-Armee reißen Witze. Das hilft, den Schrecken zu überspielen. Für einen Purple-Heart-Orden reicht die Verletzung wohl nicht, haha. Hirn ausschalten, bloß nicht darüber nachdenken, was so eine Schrotflinte hätte anrichten können. Was ist passiert? Ein Unfall, ganz einfach! Ach, so etwas könne schon mal vorkommen, sagen die Soldaten mit den Schusswunden.

Doch von Anfang an.

Ein ganz normaler Tag im Irak. Staubig, heiß. Seit dem frühen Morgen peitschen draußen Schüsse. Im Combat Outpost Falcon, einem winzigen US-Außenposten für Kriegseinsätze in Ramadi, der Hauptstadt der Provinz Anbar im sunnitischen Dreieck, bereiten sich amerikanische Soldaten auf eine Patrouille vor. Wie jeden „gottverdammten“ Tag. Erstes Platoon Bravo Company, erstes Bataillon der 26. Infantry Division – ihr Kürzel lautet 1/B/1-26 IN. Leutnant Edward Clark schiebt ein Magazin in sein Sturmgewehr, packt Granaten in seinen Rucksack und wirft sich in die schusssichere Weste. Routine, nichts Besonderes. Aber im schlimmsten Fall tödlich, wie alles hier. „Daran gewöhnt man sich“, sagt Leutnant Clark.

Anbar, heißt es, sei die gefährlichste Provinz im Irak. Ramadi die gefährlichste Stadt in Anbar. Ein Tummelplatz ehemaliger Funktionäre und Anhänger des Saddam-Regimes. Ein Ort, an dem es von Selbstmordattentätern, Scharfschützen und Sprengfallen wimmelt. Und ein Ort, die so etwas ist wie ein Trainingslager von Al Qaida. Hier können sich die extremistischen Kämpfer die ersten Sporen im Kampf gegen die Koalitionstruppen verdienen. Wer genügend amerikanische oder irakische Soldaten und Polizisten umbringt – und überlebt –, steigt auf in der Hierarchie des Terrornetzwerkes.

Ziele sind aber auch die Familienangehörigen der irakischen Polizisten und Soldaten. Oder Zivilisten, die mit ihnen kooperieren. Opfer, die sich nicht wehren. Man erschießt sie, schneidet Hälse auf oder Köpfe ab oder wirft die Menschen einfach aus dem Fenster. Oder, oder, oder. Aus lauter Angst will kaum ein klar denkender Iraker mit den Koalitionstruppen gesehen werden. Nur einige wenige Mutige geben heimlich Informationen. Diejenigen, die von diesem Krieg die Schnauze vollhaben. Weil die Amerikaner das kleinere Übel sind – und nur sie fähig sind, diesen verdammten Krieg endlich zu beenden.

Ramadi spielt eine bedeutende Rolle in der neuen Sicherheitsoffensive der Koalition, um den ungeliebten Krieg im Irak doch noch zu gewinnen. Werden die Aufständischen in Ramadi besiegt, gewinnt man die Kontrolle über ganz Anbar – und somit den Krieg, heißt es. Deshalb gehen Iraker und Amerikaner nun verstärkt gegen die Rebellen vor; riegeln ganze Häuserblocks und Straßenzüge ab, durchsuchen Haus für Haus, beschlagnahmen Waffen, nehmen Verdächtige fest. Die neue Strategie zeige Erfolg, sagt Edward Clark. In Ramadi werde weniger geschossen, und in den vergangenen Wochen seien die Anschläge auf Koalitionstruppen deutlich zurückgegangen. Das Gleiche sei in Bagdad und Falludscha geschehen, den anderen Terrorhochburgen.

Die Zeit drängt, denn in der amerikanischen Heimat will der demokratisch dominierte Senat die US-Truppen von Oktober an aus dem Irak abziehen. „Eine Kapitulationserklärung und ein Sieg für die Feinde“, sagen Republikaner.

„Wir können es schaffen“, sagt der 31 Jahre alte Leutnant Edward Clark. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Hoffentlich ist es nicht zu spät.“ Denn die Zeit laufe davon. Verdammte Politiker. „Mann, soll denn hier alles umsonst gewesen sein? Die ganzen toten GIs für nichts?“ Egal aus welchen Gründen dieser Krieg begonnen wurde, das müssten die Politiker verantworten. Jetzt gehe es nur noch darum, den Irak nicht im Chaos, sondern als funktionierenden Staat zurückzulassen. „Wir können die Menschen hier doch nicht einfach im Stich lassen und das Land den Extremisten überlassen. Wir haben Verantwortung“, sagt er und meint dabei nicht nur die Verantwortung gegenüber den Irakern. „Auch den Generationen gegenüber, die nach uns kommen.“

Die irakische Armee und die Polizei machen zwar Fortschritte. Aber noch brauchen sie die Amerikaner, meint Clark. „Ohne uns werden sie von den Aufständischen abgeschlachtet.“ Man benötige mehr Zeit und Soldaten – um gegen die Terroristen vorzugehen und die irakischen Sicherheitskräfte auszubilden. „Verdammt“, sagt Clark, „meine Männer sind smoked“; völlig überarbeitet.

Die Batterien seien leer. „Sie können kaum noch geradeaus schauen.“ Jeden Tag das Gleiche: Morgens Patrouille, Wache schieben, Putzdienst, Waffen reinigen, damit sie keine Ladehemmungen bekommen, abends Patrouille, Wache schieben, putzen, reinigen etcetera, etcetera. Dazwischen versuchen, ein paar Minuten zu schlafen. Schlimm wird es, wenn die Routine die Zeit nicht mehr ausfüllt, Sekunden zu Stunden werden, Wochen zu Monaten.

Und das alles unter diesen Bedingungen: kaum Ablenkung, keine Dusche, Staub, Fertigessen aus der Tüte, Dauerbeschuss mit Mörsern und von Scharfschützen, Hinterhalte, Sprengfallen. 24 Stunden Stress und Anspannung, seit fünf Monaten. Und dann noch das schlechte Material, der Verschleiß durch Sand und Staub. „Zwei Panzer fuhren letzte Woche auf Minen, Millionen Dollar futsch, und Ersatz ist keiner in Sicht. Wie soll man das ein Jahr lang durchstehen?“ Da sei es schwierig, nicht die Konzentration zu verlieren, nicht unvorsichtig zu werden. Da, so Clark, könne dem besten Soldaten eine Sicherung durchbrennen. Und dies könne tödlich sein. Einen Tag mal ohne Patrouille, duschen, etwas Richtiges essen, ausschlafen. „Oh Mann, einen Cheeseburger essen und ein Bier trinken. Einen Tag ohne Sorgen.“ Das wäre was, sagt Clark. Und fügt dann an: „Was soll’s? Schlafen können wir wohl erst wieder zu Hause.“

Kurz vor 16 Uhr. Kugeln schlagen in die Sandsackbarrikaden unterhalb der Wachtürme ein, die Amerikaner feuern zurück. Irgendwo auf einem Dach lauert ein Scharfschütze; unsichtbar, wie ein böser Geist. Soldaten gehen in Deckung. Am Himmel kreisen Apache-Kampfhubschrauber. Zum Glück können die Extremisten nicht zielen, meint Clark und zündet sich eine Zigarette an, zieht den Rauch tief in die Brust. „Sonst hätten wir viel höhere Verluste zu beklagen“, sagt er. Immerhin verging bis vor kurzem kein Tag, an dem man nicht beschossen wurde oder Mörser und Granaten auf das Lager regneten, dieser Festung aus Stacheldraht und Sandsäcken. Zwei Soldaten aus Edward Clarks Einheit sind gestorben, 19 und 20 Jahre alt, der Letzte Ende Februar. Von Heckenschützen erschossen.

So, genug gequatscht. Jetzt sei erst mal Zeit für eine Patrouille, sagt Clark. Tägliche Routine. Draußen fliegen immer noch Kugeln. Neun amerikanische Soldaten und acht irakische laufen durch enge Gassen, pirschen an Häusermauern entlang, nie stehen bleiben, bloß kein Ziel für Scharfschützen abgeben, immer Ausschau halten nach versteckten Sprengfallen. Links und rechts Mauerreste voller Einschusslöcher, Ruinen, rostige Autowracks, Schlaglöcher, Abfallberge; Schutt aus vier Jahren Krieg. Ramadi erinnert an Bilder von Sarajewo oder Grosny. Irgendwo in der Nähe explodiert etwas. Kurz darauf fallen wieder Schüsse.

Erstes Haus: Tor eintreten, reinrennen, Stellung beziehen, Bewohner befragen, Zimmer durchsuchen. Lebensmittel verteilen. Entschuldigung für die Störung. „Bleiben Sie doch noch auf ein Gläschen Tee“, sagt ein älterer Herr in feinem Englisch. Nein, sehr freundlich. Das gehe leider nicht. Zu riskant – für beide Seiten. Bleiben die Amerikaner zu lange, haben die Aufständischen Zeit, einen Hinterhalt zu legen. Und für die irakischen Zivilisten ist es lebensgefährlich, mit Amerikanern gesehen zu werden. Sie gelten schnell als Verräter.

Auf Wiedersehen, Ma’Salama. Nächstes Haus. Alles ist schnell gegangen, ruhig und zum Ende hin fast höflich. Alltag in Ramadi – für Zivilisten und Soldaten.

„Klar“, sagt Leutnant Clark. „Ich würde es auch nicht gut finden, wenn auf einmal ein Haufen Fremder meine Haustür eintreten würde und in meinen Sachen wühlt.“ Dennoch, so Clark, müssten die Patrouillen zusammen mit den irakischen Soldaten sein, um der Bevölkerung zu zeigen, dass Iraker und Amerikaner gemeinsam kämpfen – und um den Rebellen so wenig Spielraum wie möglich zu lassen. So zeige man Präsenz, gewinne Vertrauen und vermittele zumindest einen Hauch von Sicherheit.

Doch wie soll man einen Terroristen von einem harmlosen Zivilisten unterscheiden? Das könnten nur Iraker, sagt Clark, wenn überhaupt. „Die Rebellen tragen ja keine Uniform, wo Al Qaida draufsteht.“ Auch vertrauten die Menschen eher ihrer eigenen Armee als den Amerikanern.

Die Sicherheitsoffensive scheint zu wirken, die Anschläge seien zurückgegangen, sagt Clark. Weniger Schießereien und Anschläge. Die Aufständischen scheinen sich aus den Terrorhochburgen zurückzuziehen und ihr Todeshandwerk in kleineren Städten fortzuführen. „Ein gutes Zeichen“, sagt Clark. Das sei der Anfang vom Ende. „Noch letzte Woche verging kein Tag, an dem der Combat Outpost Falcon nicht mit Mörsern und Raketen beschossen wurde.“

Viertes Haus, das letzte für heute. Gleiches Prozedere. Verdammt, die Türe lässt sich nicht eintreten. Ein Sicherheitsschloss hängt davor.

„Muschkellah, muschkellah“, sagt ein irakischer Soldat. Problem, Problem.

„Na, kein Problem. Geht mal beiseite, Jungs“, sagt ein Corporal, zieht eine Schrotflinte aus seinem Rucksack und schießt das Schloss auf. Soldaten stürmen das Haus. Es scheint leer zu sein. Keine Sprengfallen, die Luft ist rein. Anspannung weicht Erleichterung.

Bumm.

Querschläger surren durch die Luft. Geschrei. Einer der Männer, die als Erste in das Haus rannten, krümmt sich, hält sich den Oberschenkel. Ein anderer presst eine Hand an seinen Hals. In den Ohren dröhnt der Schuss nach.

„Scheiße“, ruft jemand. „Das wollte ich nicht. Das Ding ist einfach losgegangen.“ Es ist der Corporal, der mit der Schrotflinte.

„Friendly fire, Sir! Das war einer von uns“, schreit ein Sergeant.

„Was ist passiert?“

Ein Schuss hatte sich gelöst, der Abzug der Flinte an einem Stück Rucksack verklemmt. „Scheiße. Es tut mir leid, Sir.“

„Siehst du“, sagt Leutnant Clark. „Einem ausgeruhten Soldaten wäre so etwas nicht passiert. Die Batterien sind leer. Wir brauchen dringend eine Pause.“

Die Patrouille wird abgebrochen.

„Verdammt, so etwas darf einfach nicht geschehen. Zum Glück ist es noch mal gutgegangen“, sagt Clark. Ein anderer Soldat sagt, dass Unfälle in Extremsituationen eben passierten. „Ein Wunder, dass solche Sachen nicht öfter vorkommen.“

Die Verletzten werden in Richtung des Camps getragen, die Sonne versinkt in einem Nebel aus Staub. Langsam, ganz langsam schleichen die Soldaten durch die Straßen Ramadis. Sie wirken dabei wie geprügelte Jungs nach einer Kneipenschlägerei. Maschinengewehre richten sich auf Fenster und Dächer. Mit den Verwundeten sind sie nun ein leichtes Ziel. „Auf so einen Mist warten die Terroristen doch nur. Hoffentlich lauert hier nicht irgendwo ein Scharfschütze auf uns.“

Zurück im Lager wirft ein Sanitäter einen Blick auf die Wunden. Dann lächelt er und tätschelt die Köpfe. „Da wird wohl nicht mal eine Narbe zurückbleiben, Jungs“, sagt er. „Aber müsst ihr euch gegenseitig beschießen? Das muss doch nicht sein!“ Jetzt, wo man die Terroristen aus der Stadt treibt.

Carsten Stormer[Ramadi]

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