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Politik: Die Tragödie kam hinterher

Putin, Schröder und Chirac sprachen vor allem über Terror – der Moskau am Abend erneut erschüttert

Mindestens zehn Tote und vermutlich mehr als 30 Verletzte. Das ist die erste Bilanz eines Anschlags, der am Dienstagabend in Moskau in der Nähe der U-Bahn-Station Rischskaja, fünf Kilometer vom Kreml entfernt, verübt wurde. Der staatsnahe Erste Kanal, der vom Ort der Tragödie live berichtete, sprach von einer Selbstmordattentäterin. Über den genauen Hergang gab es allerdings zunächst unterschiedliche Angaben.

Der Anschlag erfolgte genau eine Woche nach den beiden Flugzeugabstürzen, bei denen die Ermittler inzwischen sicher von Terroranschlägen ausgehen, und knapp acht Stunden nach dem Ende des Dreiergipfels in Sotschi, wo Gastgeber Wladimir Putin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac konferiert hatte. Ganz oben auf der Tagesordnung stand unter anderem der gemeinsame Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Aus gegebenem Anlass. Chirac war wegen der Entführung der beiden französischen Journalisten erst Dienstagmorgen eingeflogen, und Putin sprach auf der Pressekonferenz von Verbindungen tschetschenischer Extremisten zur Al Qaida, die auch bei den Flugzeugabstürzen ihre Hand mit im Spiel gehabt haben könnte. Dafür spricht in der Tat vor allem, dass beide Maschinen ähnlich wie bei den Anschlägen am 11. September 2001 in New York innerhalb weniger Minuten abstürzten.

Weniger überzeugend klang, was Putin und seine Gäste zum angeblichen Friedensprozess in Tschetschenien sagten. „Niemand“, erklärte Putin, „könne einen Menschen mit Gewalt an die Urne zerren.“ Die hohe Beteiligung bei den Präsidentenwahlen in der Rebellenrepublik am Sonntag spräche dafür, dass die übergroße Mehrheit sich aktiv in den Wiederaufbau einbringen will. Die Abstimmung sei in strikter Übereinstimmung mit der russischen und der Verfassung der Tschetschenischen Republik verlaufen, kein „ernst zu nehmender Mensch“ hätte signifikante Verstöße oder Manipulationen festgestellt.

Allerdings waren bereits am Montag im russischen Dienst von Radio Liberty Augenzeugen zu Wort gekommen, die in konkreten Fällen das Gegenteil beobachtet hatten. Zuvor hatte auch ein BBC-Team in einem Wahllokal in Grosny im Laufe einer ganzen Stunde „nur ein paar Wähler“ gesichtet.

Bundeskanzler Schröder sagte in Sotschi zu der umstrittenen Abstimmung nach Informationen der Agentur dpa: „Soweit ich das übersehe, hat es eine empfindliche Störung der Wahlen nicht gegeben.“ Die weitere Entwicklung werde in kritischer Solidarität begleitet.

Die Kritik dürfte sich vermutlich in Grenzen halten. Der Kanzler, dessen Russlandbild schon häufiger erheblich von dem russischer Demokraten, internationaler Menschenrechtsgruppen und kritischer Medien erheblich abwich, dürfte sich in Zukunft mit Kritik an Freund Wladimir sogar noch mehr zurückhalten. Der Grund: Russland wird seine Ölexporte erheblich steigern, um den Weltmarkt zu stabilisieren. Das versprach Putin seinen Gästen am Dienstag. Und dazu gelobte er mehr Transparenz in der Wirtschaft, um das Investitionsklima zu verbessern, was vor allem die exportorientierte deutsche Wirtschaft freuen wird.

Auch der französische Staatspräsident, bislang der heftigste Kritiker russischer Kaukasuspolitik, hielt sich vermutlich deswegen am Dienstag eher bedeckt. Dies könnte allerdings das falsche Signal sein. Als Voraussetzung für stabile russische Ölexporte gilt nach Meinung von Experten innenpolitische Stabilität. Die aber ist, wie auch der neue Anschlag befürchten lässt, mit einer Scheinlösung für Tschetschenien nicht zu haben.

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