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Politik: Die Trümmerfrau

Von Stephan-Andreas Casdorff

Das fängt ja gut an. Die Dame ist noch kaum im Kanzleramt, schon kommt Edmund Stoiber und gibt den „Kini“, wie sie in Bayern den König nennen und erklärt der staunenden Öffentlichkeit, es sei ihm doch egal, wer unter ihm regiere. Ganz so hat er es nicht gesagt, aber so ähnlich wie Franz Müntefering von der Richtlinienkompetenz des Kanzlers geredet, die die Kanzlerin nicht haben darf, weil sonst die Koalition – die es noch gar nicht gibt – beendet sei.

So sollen die Herren, die älteren, mal gar nicht erst anfangen. Angela Merkel hat schon auch Anspruch auf Respekt, nicht nur von Amts wegen. Sie kommt da rein und kann wenig dafür, dass es der, der da vor ihr reinwollte, nicht geschafft hat, Stoiber nämlich. Und Nebenkanzler, das hat die Geschichte gezeigt, gibt es nicht. Der Letzte, der es versucht hat, hieß Oskar Lafontaine, und Stoiber will doch wohl nicht der Lafontaine der Union werden. Oder so enden, um einen Vergleich zu bemühen: als Fraktionsvorsitzender einer neuen Bayernpartei. Nein, Stoiber sollte sich auf sein Amt konzentrieren, weil es alle Chancen zur Gestaltung bietet. Außerdem hat er in Bayern nicht eben oft koalieren müssen, mithin ist seine Erfahrung auf diesem Gebiet sehr begrenzt. (Die Historie zeigt übrigens auch, dass der Kini aus Bayern ohne den Kanzler aus Berlin nichts hätte machen können.)

Was Franz Müntefering betrifft: Der muss erst einmal sehen, dass er seine Leute hinter sich bringt, eh dass er die anderen gegen sich aufbringt. Denn so ganz und gar einsichtig ist es immer noch nicht, auch nicht am Tag eins nach der Entscheidung und all den schönen Erklärungen, warum die SPD jetzt die von ihr als Beelzebübin dargestellte Merkel unbedingt zur Kanzlerin erheben soll. Man erinnere sich an Plakate mit der Aufschrift „radikal unsozial“. Oder warum die Union alle Gestaltungsressorts bekommt, die SPD dagegen die problematischen; in dem Fall hat Wolfgang Clement in seinem Zorn doch völlig Recht. Nein, die Glaubwürdigkeitslücke lässt sich nicht mit starken Worten gegen eine schwache Kanzlerin auffüllen.

Gegen eine vermeintlich schwache. Vorsicht! Es kann auch wieder ganz anders kommen. Nicht, um schon lobhudlerisch zu werden, sondern einfach mal nüchtern betrachtet: Merkel ist in einem Kabinett der Gleichen, auferstanden aus den Trümmern, vielleicht gar nicht so verkehrt. Eine, die sich in der Öffentlichkeit überhaupt nicht als Chefin aufdrängt, hat mindestens die Chance, ihrem Leitspruch „Ich will Deutschland dienen“ intern, in der Regierung, zu folgen. Integrieren, motivieren, die anderen illuminieren, wer weiß, ob sich das nicht wie von selbst ergibt, gewissermaßen als Merkel normierender Zwang. Sogar als Richtlinie.

Und eines ist und bleibt sie, obwohl das Bild oft strapaziert worden ist: eine Physikerin der Macht. Physiker können rechnen. Die können sich ausrechnen, was passiert, wenn dieses komplizierte Experiment nicht gelingt, wenn das empfindliche Kräfteparallelogramm aus dem Gleichgewicht gerät, weil einer sich dicke macht – dann nämlich fliegt den großen Parteien alles um die Ohren. Die Ränder des politischen Spektrums werden links wie rechts in einer Weise gestärkt, dass es nur zum Schaden des Ganzen sein kann. Merkel, der „personifizierte Zweifel“, wie es dieser Tage im Hinblick auf ihren Mangel an Enthusiasmus hieß, darf darum an einem keine Zweifel aufkommen lassen: dass sie den Erfolg will und dem alles unterordnet, auch sich selbst. Das muss reichen.

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