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Politik: Die Türkei fühlt sich betrogen

Regierungschef Erdogan bricht mit seinen beiden ehemaligen Verbündeten Israel und Syrien

Vor noch nicht allzu langer Zeit war Baschar al Assad ein Liebling der Türken. Als „Freund“ und „Bruder“ wurde der syrische Präsident in Ankara gelobt. Inzwischen hören sich die Kommentare über den syrischen Staatsschef ganz anders an. „Er hat mich ständig angelogen“, kritisierte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan jetzt vor türkischen Journalisten mit Blick auf Assad. Erdogan lud die syrische Opposition in die Türkei ein und versprach, Waffenlieferungen an Damaskus zu stoppen. Damit hat Ankara innerhalb von kurzer Zeit mit zwei früheren Verbündeten in Nahost gebrochen: Die Türkei legt sich nicht nur mit Israel an, sondern auch mit Syrien.

Anders als im Streit mit Israel liegt Ankara im Zwist mit Syrien ganz auf der Linie des Westens, doch das ist für Erdogan unerheblich. Das Aufeinandertreffen der beiden Krisen ist ein Beispiel für die neue Außenpolitik Ankaras, die sich nicht an Ost-West-Mustern oder den Prioritäten der USA orientiert, sondern allein an türkischen Interessen. Die traditionelle Rolle des Nato-Landes Türkei als treuer und folgsamer Verbündeter des Westens gehört endgültig der Vergangenheit an.

Ironischerweise streitet sich die Türkei mit Israel und Syrien in einer Phase, die unter dem außenpolitischen Motto „Null Probleme“ mit der regionalen Nachbarschaft steht. Bei diesem Ziel bleibe es auch, sagt Außenminister Ahmet Davutoglu. Aktuell fühlt sich die Türkei aber von Israel und Syrien betrogen. Bei Israel betrifft dies das Ausbleiben einer Entschuldigung für den Tod von neun Aktivisten beim israelischen Angriff auf die Gaza-Flottilla im vergangenen Jahr. Im Falle Syriens sind es Assads nicht eingehaltene Reformzusagen der vergangenen Monate.

Der Zerfall der Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus, die noch im vergangenen Jahr gemeinsame Kabinettsitzungen veranstalteten, ist sogar noch dramatischer als die seit Jahren anhaltende Erosion des Verhältnisses zu Israel. In beiden Ländern hofft die Türkei auf einen Regierungswechsel, um eine Reparatur der Beziehungen zu ermöglichen. „Wir waren dicke Freunde, aber unter diesen Umständen ist Israels Schicksal die Einsamkeit“ in der Region, sagte Erdogan dem Nachrichtensender CNN. Er betonte erneut, Ankara gehe es allein um die Haltung der Netanjahu-Regierung, die Türkei habe nichts gegen das israelische Volk.

Ähnlich argumentiert Erdogan im Fall Syrien. Der Ministerpräsident geht davon aus, dass Assad sich nicht mehr lange an der Macht halten kann. Die syrische Opposition darf deshalb schon in den kommenden Tagen ein offizielles Büro in der Türkei eröffnen. Die türkischen Behörden stoppten vergangene Woche ein Schiff mit Waffen für Damaskus und werden nach Erdogans Worten weiter nach solchen Lieferungen Ausschau halten.

Auch die Propaganda-Schlacht verschärft sich. Nachdem Assads Staatsmedien von Vergewaltigungen in türkischen Auffanglagern für syrische Flüchtlinge berichteten, will Ankara die Lager nun für Medienvertreter öffnen. Dann werde die ganze Welt durch die Berichte der Flüchtlinge erfahren, was in Syrien wirklich vor sich gehe, sagte Erdogan, dessen Regierung bisher keine Reporter in die Lager lässt. Mit einem Besuch in den Lagern will Erdogan selbst den Druck auf Assad noch weiter erhöhen.

Die Türkei sieht sich selbst als nahöstliche Führungsmacht, die ihre eigenen Entscheidungen fällt. Lange habe Ankara als eine Art Schutzschild für Syrien fungiert und Assads Regime im Westen verteidigt, sagte Hasan Kanbolat, Direktor der Ankaraner Denkfabrik Orsam, dem Tagesspiegel. In den ersten Monaten des Konflikts in Syrien agierte die Türkei aus Sorge um einen möglichen Ansturm von Flüchtlingen über die fast 900 Kilometer lange Landesgrenze wesentlich vorsichtiger als der Westen. „Doch das ändert sich jetzt“, sagte Kanbolat. Assad hat sich die Freundschaft der Türkei verscherzt und muss nun mit den Folgen leben, so lautet die Ankaraner Logik.

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