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Maskenmänner. Anhänger der Oppositionspartei CHP protestieren in Istanbul gegen Korruption und Bestechung.

© Ozan Kose/AFP

Die Türkei unter Erdogan: Satirische Verse - Der Kampf für Pressefreiheit

Die Polizei kam im Morgengrauen. Wie immer. Der Reporter erwartete sie schon. In der Türkei sind bereits Dutzende Journalisten festgenommen worden. Präsident Erdogan redet trotzdem von Pressefreiheit. Manchem Verleger bleibt da nur noch eins: Humor.

Sie kamen im Morgengrauen. Wie immer. Als türkische Polizeibeamte in dieser Woche an der Wohnungstür des Journalisten Mehmet Baransu in Istanbul klingelten, erwartete er sie schon. Es war bereits seine vierte Festnahme.

Diesmal erklärten die Beamten, sie seien wegen einer Beschwerde eines Beraters von Staatspräsident Erdogan da. Dann wurde Baransu abgeführt, von der Staatsanwaltschaft verhört und wenige Stunden später freigelassen – immerhin wurde er diesmal nicht geschlagen.

Erwartet hatte Baransu die Polizei eigentlich schon zwei Wochen früher. Schon Mitte Dezember saßen er und Dutzende andere prominente Journalisten auf den Koffern, die sie für das Gefängnis gepackt hatten. Per Twitter hatte ein anonymer Informant aus dem Führungszirkel um Präsident Recep Tayyip Erdogan ihre Festnahmen angekündigt.

Festgenommen wurden dann aber erst mal Erkrem Dumanli, der Chefredakteur von „Zaman“. Die regierungskritische Zeitung gehört zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, eines entschiedenen Gegners von Erdogan. Trotz Protesten blieb Dumanli mehrere Tage zum Verhör hinter Gittern, bevor die Justiz ihn ziehen ließ. In den kommenden Monaten soll ihm der Prozess gemacht werden. Laut dem Committee to Protect Journalists (CPJ) saßen in der Türkei zeitweise mehr Journalisten im Gefängnis als in China oder im Iran.

Trotzdem stehe es um die Pressefreiheit in der Türkei nach Ansicht ihres Staatspräsidenten zum Besten. „An keinem Ort der Welt sind die Medien so frei wie in der Türkei“, sagte Erdogan wenige Tage vor Baransus jüngster Festnahme auf einer Gewerkschaftsveranstaltung. Wer etwas anderes behaupte, betreibe „türkeifeindliche Propaganda“.

Der Irrwitz ist sein tägliches Brot

Absurd? Für Baris Uygur ist solcher Irrwitz das tägliche Brot. Als Redakteur der Istanbuler Satirezeitschrift „Uykusuz“ spießt er Woche für Woche die politischen Ereignisse seines Landes auf. In einem Land mit so viel Realsatire wie der Türkei, sagt er, „ist unsere Arbeit nicht schwer“. Uygur lacht heiser. Über seinem Arbeitsplatz in den Redaktionsräumen im Bohème-Viertel Beyoglu hängt der Rauch von unzähligen Zigaretten.

Satire in der Türkei Erdogans mag leicht fallen, aber sie ist potenziell riskant: Leicht, weil das Land viel Absurdes liefert – Politik und Justiz verstehen keinen Spaß.

Der jetzt festgenommene Mehmet Baransu, 38, ist der bekannteste Enthüllungsjournalist der Türkei. Seine Berichte in der unabhängigen Tageszeitung „Taraf“ lösten vor fünf Jahren jene Ermittlungen aus, die hunderte Militärs wegen Putschversuchs gegen den damaligen Ministerpräsidenten Erdogan vor Gericht brachten. Seine Recherchen trugen wesentlich dazu bei, die Vormundschaft der türkischen Militärs über die Politik des Landes zu brechen und damit das politische Überleben von Erdogans AKP zu sichern.

Doch inzwischen ist Erdogan zum Staatspräsidenten aufgestiegen und Baransu zu seinem Intimfeind geworden. Heute nennt Erdogan den Journalisten öffentlich einen Vaterlandsverräter, weil er die Korruption in der Regierung kritisiert und Erdogans Versuche geißelt, eine gerichtliche Aufklärung zu unterdrücken: Die Staatsanwälte, die Ende 2014 mit den Korruptionsermittlungen gegen mehrere Minister Erdogans an die Öffentlichkeit gingen, wurden vom Dienst suspendiert.

„Bestraft werden nicht die Minister, sondern die Staatsanwälte“, kommentierte der Kolumnist Can Dündar bitter. „Festgenommen werden nicht die, die Geld verschwinden ließen, sondern die, die darüber Tweets absetzen: Das ist die Neue Türkei.“

Warum die "Titanic" in der Türkei nicht funktionieren würde

Maskenmänner. Anhänger der Oppositionspartei CHP protestieren in Istanbul gegen Korruption und Bestechung.
Maskenmänner. Anhänger der Oppositionspartei CHP protestieren in Istanbul gegen Korruption und Bestechung.

© Ozan Kose/AFP

Bei „Uykusuz“ schaut sich Uygur eine neue Skizze an. „Uykusuz“ bedeutet schlaflos – eine Anspielung darauf, dass die Macher der Zeitschrift vor dem wöchentlichen Erscheinungstag oft die Nächte durcharbeiten. Rund 70 000 Exemplare verkauft das 2007 gegründete Magazin jede Woche, rund die Hälfte davon in Istanbul, die andere Hälfte in anatolischen Städten wie Ankara, Izmir oder Eskisehir. Damit ist „Uykusuz“ die größte Satirezeitschrift des Landes, doch viel weniger verkauft die Konkurrenz von „Le Man“ und „Penguen“ auch nicht.

Und auch bei ihnen findet sich ein Mann häufiger auf der Titelseite als jeder andere: Erdogan. Kürzlich ließ „Uykusuz“ einen finster dreinblickenden Präsidenten beklagen, dass junge Türken die Inschriften auf den osmanischen Grabsteinen ihrer Vorfahren nicht mehr lesen könnten – eine Anspielung auf die Forderung des Präsidenten nach osmanischem Sprachunterricht als Pflichtfach in den Schulen. Auf dem „Uykusuz“-Cover schwebte Erdogan dann drohend über einem Friedhof mit Grabsteinen der Todesopfer von Polizeigewalt bei den Gezi-Protesten. Daneben der Spruch: „Die Grabsteine sind doch eigentlich ziemlich gut zu lesen.“

Wenn er keine Satire macht, schreibt er Krimis

Uygur, 36, besuchte in Istanbul eine deutsche Schule und verbrachte anschließend ein halbes Jahr in München. Wenn er nicht Satire macht, schreibt er Istanbul-Krimis, die in Deutschland vom Berliner Verlag Binooki herausgebracht werden. Sein Deutsch ist fließend, weshalb er die Unterschiede zwischen der türkischen und der deutschen Satirelandschaft gut beurteilen kann. Die „Titanic“ kenne er, aber für die Türkei sei das nichts, sagt Uygur. „Monatliche Satirezeitschriften wie in Deutschland hätten hier keinen Sinn.“ Türkische Satire muss schneller auf politische Entwicklungen reagieren können. „Hier passiert in einer Woche mehr, als Luxemburg in seiner ganzen Geschichte erlebt hat.“

Als Mitbegründer von „Uykusuz“ schreibt Uygur wöchentliche Kolumnen für das 16-seitige Blatt. Das Redaktionsbüro im Hinterhaus einer Straße in Beyoglu ist geräumig, die drei Redakteure und 30 Zeichner können sich auf eine treue Leserschaft verlassen. An den Wänden hängen große Zeichnungen und eine Collage aus mehreren hundert Titelblättern. Aus den Fenstern geht der Blick auf Istanbuler Hinterhöfe, die Stimmung in der Redaktion ist entspannt.

Dabei steht auch Uykusuz wie alle Medien in Erdogans Türkei unter wachsendem Druck. Viele Zeitungen und Fernsehsender gehören zu Mischkonzernen, die sich mit einer regierungsfreundlichen bis unterwürfigen Berichterstattung die Gunst des Präsidenten verschaffen oder erhalten wollen, um bei Staatsaufträgen bedacht zu werden. Andere Mediengruppen wurden gleich von Erdogan-freundlichen Unternehmern gegründet, angeblich auf direkten Befehl des Präsidenten. Dutzende kritische Journalisten haben in den vergangenen Jahren ihre Jobs verloren. Hinzu kommen Gerichte, für die Presse- und Meinungsfreiheit häufig weniger achtenswert sind als der Schutz des Staates vor angeblichen Angriffen.

Warum den türkischen Lesern Satire so wichtig ist

Maskenmänner. Anhänger der Oppositionspartei CHP protestieren in Istanbul gegen Korruption und Bestechung.
Maskenmänner. Anhänger der Oppositionspartei CHP protestieren in Istanbul gegen Korruption und Bestechung.

© Ozan Kose/AFP

Für viele Türken aber ist Satire wichtig. „Während der Gezi-Proteste schoss unsere Auflage nach oben“, erzählt Uygur. Damals, im Frühsommer des Jahres 2013, blamierten sich die etablierten Medien, weil sie die Proteste gegen die Regierung verniedlichten oder ganz verschwiegen. Der Nachrichtensender CNN-Türk brachte einen Dokumentarfilm über Pinguine, während in Istanbul die Straßen brannten. „Kein Mensch wollte da noch eine normale Zeitung lesen“, sagt Uygur. Wenn die „Uykusuz“- Redaktion zu Lesereisen nach Anatolien aufbricht, kommen mehrere tausend Menschen zu den Signierstunden.

Staatsanwälte, Politiker und Bürokraten sind nicht darunter. Viele von ihnen fürchten die subversive Kraft der Satire. Vor drei Jahren kam der Zeichner Bahadir Baruter vom Satireblatt „Penguen“ vor Gericht, weil in seiner Karikatur über Gläubige in einer Moschee auf einer Säule der Spruch zu lesen war: „Es gibt keinen Gott, und die Religion ist eine Lüge.“

Die Sendung „So weit kommt’s noch“ des Fernsehsatirikers Levent Kirca wurde vor vier Jahren gleich ganz eingestellt. Kirca hatte sich in einem Sketch über Erdogans denkwürdigen Auftritt beim Weltwirtschaftsforum von Davos im Jahr 2009 lustig gemacht, bei dem der damalige türkische Premier lautstark die israelische Gaza-Politik kritisierte und wütend vom Podium stürmte. In Kircas Sketch verprügelte Erdogan seine Gesprächspartner.

Trotz oder gerade wegen des Drucks von oben findet die Satire immer neue Ausdrucksformen. Ein Beispiel ist die Website „Zaytung“, die mit dem Motto „Aufrecht, Unparteiisch, Unmoralisch“ wirbt und die bei Twitter fast 1,8 Millionen Anhänger hat.

Erdogan persönlich verklagt immer wieder Karikaturisten

Erdogan selbst hat in den vergangenen Jahren immer wieder Karikaturisten verklagt. Musa Kart, Zeichner der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, wurde gleich mehrmals auf Betreiben des Präsidenten vor Gericht gestellt. In einem Fall monierte Erdogan, dass Kart ihn als Katze dargestellt hatte, die sich in einem Wollknäuel verhedderte. Vor ein paar Wochen wies ein Istanbuler Gericht die jüngste Klage Erdogans gegen den Karikaturisten ab. Auch „Penguen“ wurde schon von Erdogan verklagt. „Aber er hat jedes Mal verloren“, sagt Uygur vergnügt.

„Uykusuz“ ist bisher von Prozessen verschont geblieben. „Die können uns nichts“, sagt Uygur. „Uykusuz“ will keine Staatsaufträge und keine Anzeigen, sondern finanziert sich allein aus dem Verkauf. „Man kann uns nicht erpressen.“

Und so kann „Uykusuz“ ironisch den ersten Geburtstag von Erdogans „Neuer Türkei“ ein Jahr nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen Erdogans Regierungsmannschaft feiern. Das Blatt lässt den Präsidenten in einer Zeichnung eine Geburtstagskerze ausblasen, die auf einem Schuhkarton steht: eine Anspielung darauf, dass bei einem Hauptverdächtigen der Korruptionsaffäre stapelweise Dollar und Euro in einem Schuhkarton gefunden wurden.

Wie lange „Uykusuz“ damit noch durchkommt, ist freilich fraglich. Erst in dieser Woche wurde die TV-Moderatorin Sedef Kabas von der Polizei abgeholt, weil sie sich kritisch zur Korruptionsaffäre um den Präsidenten geäußert hatte. Die prominente 44-Jährige, die mit ihrer Haarsprayfrisur eher einer biederen Hausfrau gleicht als einer Revoluzzerin, hatte mit einem Tweet gegen die Einstellung der Korruptionsermittlungen gegen die Regierung protestiert – heutzutage schon Grund genug für die Polizei, ihre Wohnung zu durchsuchen und Computer und Handy zu beschlagnahmen.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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