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Politik: Die Türken kommen

Einige EU-Kommissare warnen vor zu frühen Beitrittsverhandlungen

Die Europäische Union wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen. Inzwischen zweifelt in Brüssel niemand mehr daran, dass EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen dies in seinem Türkeibericht am 6. Oktober den 25 Staats- und Regierungschefs empfehlen wird. Doch in Brüssel wächst der Widerstand. „Das ganze Verfahren wird doch immer mehr zur Farce“, findet ein deutscher Christdemokrat im Europaparlament.

Nicht nur die Mehrheit des Europaparlaments steht der Aufnahme des Landes skeptisch gegenüber. Auch aus dem Kreis der EU-Kommissare wird wenige Tage vor der Veröffentlichung des Türkeiberichts Kritik laut. Österreichs EU-Kommissar Franz Fischler hat, so heißt es in Brüssel, einen Brief an seine Kollegen geschrieben, in dem er vor den Konsequenzen einer Aufnahme der Türkei warnt. Einwände haben auch der Franzose Jacques Barrot, die Spanierin Loyola de Palacio, der Zypriot Markos Kyprianou und die Luxemburgerin Viviane Reding vorgebracht. In Brüssel wie in Straßburg warnt man vor einer Überforderung der EU: Noch seien die Folgen des Beitritts der wirtschaftsschwachen Osteuropäer nicht annähernd bewältigt, da wolle man schon wieder eine neue Baustelle aufmachen.

Doch während die Skepsis in den Etagen der EU-Kommissare bisher eher hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde, nimmt der niederländische EU-Kommissar Frits Bolkestein kein Blatt vor den Mund. In einer Rede an der Universität Leiden sagte er, der Beitritt der bald 83 Millionen Türken werde die Europäische Union stark verändern: „Nach dem Beitritt der Türkei kann die EU ihre bisherige Agrar- und Regionalpolitik nicht einfach fortsetzen wie gehabt. Europa würde implodieren.“ Wer die Türkei aufnehme, müsse auch die Ukraine und Weißrussland akzeptieren, findet Bolkestein: „Diese Länder sind europäischer als die Türkei.“ Doch Bolkestein ging noch weiter. Er zitierte den amerikanischen Islamexperten Bernard Lewis, der die Bevölkerungsentwicklung für die „Mutter der Politik“ hält. Der Einwanderungsdruck aus dem Süden werde enorm zunehmen, sagte Bolkestein. Da die Geburtenraten in Europa niedrig seien, altere und schrumpfe die europäische Bevölkerung. Schon in zehn Jahren würden in einigen europäischen Großstädten die aus Nordafrika oder dem mittleren Osten eingewanderten Bürger die Bevölkerungsmehrheit bilden. Am Ende dieses Jahrhunderts werde Europa islamisch sein, zitierte Bolkestein den Wissenschaftler Bernard Lewis. Seine Schlussfolgerung: „Die USA bleiben die einzige Supermacht. China wird ein ökonomischer Riese. Europa wird islamisiert.“

Dieser Vision wollen sich acht ehemalige europäische Spitzenpolitiker nicht anschließen. Unter dem Vorsitz des ehemaligen finnischen Staatspräsidenten Ahtisaari kommt das Gremium zu dem Schluss, dass ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union für beide Seiten von Vorteil wäre. Eine Abweisung dagegen würde zu „Instabilität vor der Tür der EU“ führen. Auch die deutsche Bundesregierung argumentiert so – und ist ausnahmsweise mal einer Meinung mit der US-Regierung. Washington übt seit Monaten massiven politischen Druck auf die Europäer aus, dem strategisch wichtigen Nato-Land an der Nahtstelle zu den heißesten Krisenregionen der Welt möglichst schnell die Tür zu öffnen.

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