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Politik: Die Uhr tickt

In seiner Rede versucht George W. Bush, den drohenden Krieg vor seinem Volk zu rechtfertigen – nicht vor der Welt

DIE WELT VOR DEM KRIEG

Jetzt werden die Minuten gezählt. Den Anfang machte am Montag der US-Nachrichtensender MSNBC. Kurz bevor George W. Bush zu seiner Ultimatums-Rede ansetzte, tauchte auf der rechten unteren Bildhälfte ein neues Logo auf. „Countdown to Pres. Bush speech“, stand darauf, mit der ablaufenden Zeit, bis um Punkt 20 Uhr US-Ostküstenzeit die Kriegserklärung begann. Unmittelbar danach wurde das Logo ausgewechselt. Jetzt heißt die Überschrift „Deadline“. Darunter zeigt die Uhr, wie viel Zeit der Frieden noch hat. Während dieser Text geschrieben wird, sind es 35 Stunden und 53 Minuten.

Wen wollte Bush erreichen? Eindeutig im Vordergrund standen seine Landsleute. Sie sind sein wichtigster Rückhalt. Es sind überwiegend Amerikaner, die demnächst ihr Leben aufs Spiel setzen, um einen Tyrannen zu stürzen. Vor ihnen muss der Präsident sich rechtfertigen. Erst nachgeordnet interessiert ihn das Völkerrecht. „Dies ist nicht eine Frage der Autorität, es ist eine Frage des Willens.“ Nicht die UN-Charta leitet sein Handeln, sondern die US-Verfassung. „Die Vereinigten Staaten haben die souveräne Autorität, Gewalt einzusetzen, um ihre nationale Sicherheit zu garantieren“, sagte Bush mit ernster Stimme. „Diese Pflicht fällt mir als Oberbefehlshaber zu, auf Grund des Eides, den ich geschworen habe, auf Grund des Eides, den ich einhalten werden.“

Ebenfalls für das heimische Publikum waren jene Passagen gedacht, in denen Bush die Irak-Politik seiner Regierung begründete. Ganz oben auf der Liste steht der Horror des 11. Septembers. Ohne das Datum zu erwähnen, stellte Bush einen Bedrohungs- Zusammenhang zwischen dem Al-Qaida- Terrorismus und dem irakischen Regime her. „Die Gefahr ist klar: Mit dem Einsatz chemischer, biologischer oder eines Tages auch nuklearer Waffen, beschafft mit der Hilfe Iraks, könnten die Terroristen Tausende oder Hunderttausende von unschuldigen Menschen in unserem Land töten.“ Allein diese Möglichkeit legitimiert nach Auffassung Bushs einen Präventivkrieg. „Ehe der Tag des Schreckens kommen kann, ehe es zu spät zum Handeln ist, wird diese Gefahr beseitigt werden.“ Alles andere sei „Appeasement“ – ein Vorwurf an die Adresse vieler Europäer, mit dem Bush ganz bewusst eine Analogie zur Hitler-Zeit wählte.

Der zweite Adressat von Bush war das irakische Volk, das nach einem Sturz Saddam Husseins zunächst vom US-Präsidenten selbst regiert würde. Mindestens ein Jahr lang sollen die 23 Millionen Iraker von einer US-Militärbehörde verwaltet werden. Und deren oberster Befehlshaber heißt George W. Bush. Es sprach also gewissermaßen der künftige Herrscher. Bush war daher bemüht, den Feldzug als Befreiung von einer Diktatur darzustellen. Die USA würden „Nahrung und Medizin liefern“, den „Apparat des Terrors niederreißen“ und „helfen, einen neuen Irak zu bauen, der wohlhabend und frei ist“. Bush verpackte den Krieg in eine Botschaft der Hoffnung: „Der Tyrann wird bald nicht mehr da sein. Der Tag Ihrer Befreiung ist nahe.“

Ein drittes Publikum gab es nicht. Bush weiß offenbar, dass er die Weltöffentlichkeit nicht mehr überzeugen kann. Das Scheitern der Diplomatie schob er Frankreich und Russland in die Schuhe – „einige ständige Mitglieder des Sicherheitsrates haben öffentlich erklärt, dass sie gegen jede Resolution ihr Veto einlegen werden“. Dadurch seien die USA zum Alleingang gezwungen worden.

Noch ein Blick auf die „Deadline“-Uhr: In 34 Stunden und 55 Minuten läuft das Ultimatum ab.

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