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Politik: Die Uhr tickt

Die Ansprüche von NVA-Radargeschädigten drohen zu verjähren

Thomas Förster hat Lymphdrüsenkrebs. Vermutlich weil er von 1968 bis 1972 bei der NVA, der Volksarmee der DDR, am Radar arbeitete. Förster und andere strahlengeschädigte NVA-Soldaten kämpfen um Entschädigung. Aber wer haftet für Schäden, die in einer Armee entstanden sind, die es nicht mehr gibt? „Die Bundeswehr ist nicht der Rechtsnachfolger der NVA“, heißt es im Verteidigungsministerium. Während Gerichte die Frage klären, drohen die Ansprüche zu verjähren. „Das müssen wir verhindern“, sagt Förster. Am 10. Dezember will er daher die „Interessenvertretung NVA-Radargeschädigter und Hinterbliebener“ gründen. Er sagt, dass etwa 1100 NVA-Bedienstete Anspruch auf Entschädigung hätten. „Weil die Situation von NVA- und Bundeswehrsoldaten unterschiedlich ist, brauchen wir eine eigene Solidargemeinschaft“, sagt Förster. Bislang vertrat der „Bund zur Unterstützung Radargeschädigter“ alle Strahlenopfer.

Tausende Männer haben in den vergangenen Jahrzehnten bei Bundeswehr und NVA an Radargeräten gearbeitet und sind danach oft an Krebs erkrankt. Im Jahr 2001 versprach der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) eine rasche Entschädigung. Aber sein Ministerium zweifelte alle Ansprüche an und lehnt es ab, Radaropfern Schadenersatz zu zahlen. Aufgrund des Gutachtens einer Kommission sollen Geschädigte beider Armeen jetzt zumindest Renten erhalten. Doch die Anerkennungskriterien sind härter als von der Kommission empfohlen. „Laut Order aus dem Ministerium sollen weniger als zehn Prozent die Rente bekommen. Es müssten mehr sein", sagt der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen.

Wegen der einmaligen Schadenersatzzahlungen laufen Prozesse. In Bonn für die Betroffenen der Bundeswehr, in Frankfurt an der Oder für die der NVA. Um den Geschädigten hohe Prozesskosten zu sparen, hat Geulen für Angehörige beider Armeen Musterklagen erhoben. Nach einer Vereinbarung mit dem Verteidigungsministerium gelten die Urteile der Musterklagen, unabhängig einer möglichen Verjährung für alle vergleichbaren Fälle – vorausgesetzt, es handelt sich um Bundeswehrsoldaten. Für die NVAler verweigert das Ministerium einen Verzicht auf Verjährung der Ansprüche. Der Stichtag für den Verfall der NVA-Forderungen ist der 31. Dezember 2004.

„Stiefmütterlich“ nennt Geulen die Behandlung der NVA-Soldaten durch das Ministerium. Trotzdem ist er zuversichtlich. Geulen vertritt mehr als 900 Radargeschädigte, davon 183 Bedienstete der NVA. Laut Landgericht Frankfurt/Oder hat die Bundeswehr grundsätzlich für die Ansprüche der DDR-Soldaten zu haften. Das Verteidigungsministerium bleibt dennoch gelassen: „Wenn wir Rechtsnachfolger sind, wird die Staatshaftung nach DDR-Recht bemessen. Somit beträgt die Verjährungsfrist ein Jahr und ist lange abgelaufen.“ Dem widerspricht wiederum Geulen. Der Streit kostet Zeit, welche den Opfern fehlt. Wöchentlich sterben zwei bis drei Mitglieder des „Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter“.

In den USA verklagt Geulen die Hersteller von Radargeräten auf Schadenersatz von mehreren hundert Millionen Euro. Seine Mandanten sind Soldaten der Bundeswehr und anderen Nato-Armeen. Ein Urteil erwartet er für Dezember. „Die deutschen Musterprozesse werden erst in zwei oder drei Jahren enden, wenn das Verteidigungsministerium durch alle Instanzen geht“, befürchtet er. „Sind die NVA-Ansprüche dann verjährt, hilft wohl nur öffentlicher Druck.“ Das weiß auch Förster.

Weitere Informationen im Internet:

www.nva-radar.de

Jan Dörner

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