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Politik: Die vergessene Katastrophe

Der Atomstreit verstellt den Blick auf den Hunger in Nordkorea

Während Nordkoreas Regierung sich mit ihren Atomplänen international weiter isoliert, sind die Menschen in dem ohnehin schon armen Land wieder von einer Hungersnot bedroht. Wegen der rückläufigen Spenden aus dem Ausland können internationale Hilfsorganisationen große Teile der Bevölkerung nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen. Acht Millionen Kinder, schwangere Frauen und alte Menschen stehen vor einer Situation, in der es um Leben oder Tod geht, warnen die Vereinten Nationen.

Um eine friedliche Lösung in der Nuklearfrage zu finden, schickte der scheidende südkoreanische Präsident Kim Dae Jung am Montag seinen Sicherheitsberater Lim Dong Won zu Gesprächen mit der Führung in Pjöngjang in die nordkoreanische Hauptstadt. Auch die EU erwägt, eine Delegation dorthin zu entsenden, um zu vermitteln. Gleichzeitig stimmte Nordkorea in einem überraschenden Zugeständnis dem Ausbau von Verkehrsverbindungen nach Südkorea in dem von den Vereinten Nationen überwachten Grenzgebiet zu.

Diese positiven Signale ändern aber nichts an der Hungersnot in Nordkorea. Bereits im vergangenen November musste das UN-Welternährungsprogramm (WFP) die täglichen Lebensmittelrationen für 3,2 Millionen Menschen streichen. Schulkinder, die bisher jeden Tag eine Schüssel mit 200 Gramm Reis bekamen, erhalten keine Schulspeisung mehr. „Es war noch nie so schlimm“, warnt der für Nordkorea zuständige WFP-Mitarbeiter Gerald Bourke. Anfang Februar werden die Lagerhallen der Vereinten Nationen leer sein. Acht Millionen Nordkoreaner – ein Drittel der Bevölkerung – werden dann von einer Hungersnot bedroht sein.

Schon vor Beginn des Atomstreits im vergangenen Herbst hatten Japan und andere Staaten ihre Hilfslieferungen reduziert. Vertreter des Welternährungsprogramms riefen im September die Weltgemeinschaft dringend zu Spenden auf. Bisher sind nur ein Bruchteil der für 2003 benötigten 215 Millionen US-Dollar eingegangen. Solange Nordkoreas Regierung an ihren Atomplänen festhält, sind die Spenderländer wenig geneigt, den Hungernden zu helfen.

„Politik und humanitäre Hilfe dürfen nicht vermischt werden", fordert die Caritas-Koordinatorin Käthi Zellweger im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Zellweger gehört zu den wenigen Ausländern, die regelmäßig Kinderheime und Schulen in dem isolierten Land besuchen dürfen. Sie spricht von einer „bedrohlichen Situation". Das wenige Getreide, das den Menschen noch zur Verfügung steht, werde „mit Verdaulichem und Unverdaulichem“ gestreckt. Vor allem in den Industriegebieten an der Ostküste, wo die Fabriken wegen Ölmangels still stehen, sei die Lage ernst. Viele der Kinder seien kleinwüchsig und chronisch unterernährt. „Kinder sitzen herum, und sie haben Gesichter wie Greise“, berichtet Zellweger.

Harald Maass[Peking]

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