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Politik: Die verlorenen Söhne

Palästinensische Eltern wehren sich gegen die Hamas: Ihre Kinder sollen nicht zu Selbstmordattentätern werden

Von Charles A. Landsmann,

Tel Aviv

Es geht um Leben und Tod. Es geht um Muhammed Rantisi: Soll der 18-Jährige weiter leben oder soll er Selbstmord begehen? Seine Mutter, genannt Umm Muhammed, will keinen „Shahid“, keinen Märtyrer und Helden. Sie will keines ihrer sechs Kinder sterben sehen. Vater Abdul Aziz Ali dagegen singt Loblieder auf die Selbstmordattentäter. Das muss er wohl, schließlich ist er politischer Chef der radikal-islamischen „Hamas“.

Der ideologische Streit in der Familie Rantisi in Gaza-Stadt ist durch den palästinensischen Geheimdienst an die Öffentlichkeit gebracht worden. Angezapft wurde die Telefonleitung der Rantisis – wegen des Vaters. „Mein Sohn Muhammed?“ ist eine Frauenstimme zu hören, die von Frau Rantisi. „Ja, er wird den n des Islam und der Moslems auf der ganzen Welt glorifizieren und ein Märtyrer sein.“ – „Warum mein Sohn Muhammed? Ich bin damit nicht einverstanden. Adieu.“ Und dann war nur noch ein Knacken zu hören – Frau Rantisi hatte aufgelegt und so verhindert, dass ihr Gesprächspartner ihrem Sohn den Befehl zur Ausführung des Selbstmordattentats geben konnte.

Die Veröffentlichung des Gesprächsinhaltes sorgte für erhebliche Unruhe in der palästinensischen Gesellschaft. „Unsere Kinder schicken die da oben in den Tod, ihre eigenen zum Studium ins Ausland“ – so und ähnlich lauteten die Meinungen auch bei Sympathisanten von Hamas. Da nützte auch das Dementi von Vater Rantisi nicht, der gerade wieder die Selbstmordattentate als besonders wirksame Waffe wertete: „Wir haben keine F-16, keine Apache-Hubschrauber oder Raketen. Sie greifen uns mit Waffen an, gegen die wir uns nicht verteidigen können. Und nun haben wir eine Waffe, gegen die sie sich nicht wehren können. Wir glauben, dass diese Waffe eine Art von Balance herstellt, denn diese Waffe ist wie eine F-16."

Ein verzweifelter Vater

Die Rantisis sind nicht die einzigen Palästinenser, bei denen es wegen der Selbstmordattentate Familienkrach gibt. So versuchte ein verzweifelter Vater, seinen todeswilligen Sohn mit Worten von seinem selbstmörderischen Vorhaben abzubringen. Vergeblich. Schließlich, als ihm die Worte ausgingen, griff er zur Waffe und schoss seinem Sohn ins Bein. Lieber ein kurzfristig verletzter, als ein ewig toter Sohn, war seine Devise.

Nicht nur diese sehr menschliche, väterliche oder mütterliche Überlegung mag der Grund sein, dass auf palästinensischer Seite die Opposition gegen die Taktik der Selbstmordattentate wächst. Und dies, obwohl gerade diese Anschläge, die lähmende Furcht der Israelis vor Massakern im Bus und Blutbädern in Einkaufszentren und Festsälen auslösten, „das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Palästinenser verschoben“, wie die „Washington Post" schreibt. Vielmehr sind Israels Militärs und Regierung davon überzeugt, dass die Drohung mit drastischen Strafmaßnahmen gegen die Hinterbliebenen der Täter – Häusersprengungen, Beschlagnahmung des Besitzes und Deportation vom Westjordanland in den Gazastreifen – ihre Wirkung nicht verfehlt haben.

Mütter unter Druck

Denn in Israel hat man nicht vergessen, dass noch vor wenigen Wochen – bevor der Strafkatalog erlassen wurde – palästinensische Mütter sich stolz vor Videokameras aufstellten, um ihre Söhne in den Märtyrertod zu schicken. Doch inzwischen ist durchgesickert, dass in mehreren Fällen die Mütter unter Druck vor der Kamera „eine Show abzogen" und danach weinend zusammenbrachen. „Eine palästinensische Mutter unternimmt alles in ihrer Macht stehende um zu verhindern, dass sich ihr Sohn selbst umbringt. Wenn er schon Selbstmord begangen hat, wird sie anders reden, aber die Wahrheit ist, dass die Mutter nicht will, dass ihr Sohn stirbt“, versichert der abtretende Militärkommandant des nördlichen Teils des Westjordanlandes, Oberst Yossi Adiri. „Es gab Fälle, bei denen wir in die Häuser von Terroristen kamen, von denen wir wussten, dass sie Selbstmord begehen werden, und die Eltern sagten uns, sie wüssten, wohin ihr Sohn gegangen sei, und uns baten ihn festzunehmen, damit er nicht sterbe." Der Chef des militärischen Nachrichtendienstes, General Aharon Zeevy Farkash, sprach vor dem Knessetausschuss für Sicherheitspolitik von „steigendem Widerstand der Palästinenser gegen Selbstmordanschläge.“ Er glaubt, dass dies auf die israelischen Strafmaßnahmen zurückzuführen sei und auf die Kampfmüdigkeit der Gegenseite. Als Beweis für seine These erzählte der General den Abgeordneten: „Fünf Selbstmordanschläge sind annulliert worden – weil die Terroristen Angst hatten vor dem Schaden, den ihre Familien erleiden würden." Die Islamisten, Hamas und Islamischer Dschihad, welche noch vor wenigen Wochen stolz mit Hunderten von freiwilligen Selbstmordattentätern geprahlt hätten, täten sich nun schwer, solche zu rekrutieren.

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